46. Solothurner Filmtage: Schwere Themen - starke Filme

Schwere Krankheit und Tod, jugendliche Orientierungslosigkeit und Aggressionsbereitschaft und die Aufarbeitung skandalöser Zustände in einem katholischen Kinderheim in den 1930er bis 1950er Jahre. - Schwere Themen haben sich Christine Repond in "Silberwald", Beat Bieri in "Das Kinderzuchthaus", Lea Pool in "La dernière fugue" und Res Balzli in "Bouton" vorgenommen, dennoch sind Pool und Balzli nicht nur bewegende, sondern auch beglückende Filme gelungen, die Leichtigkeit und Lebensfreude ausstrahlen.

Ein aktuelles Thema hat sich Christine Repond mit ihrem Spielfilmdebüt "Silberwald" vorgenommen. Die Baslerin erzählt vom jungen Sascha, der nach der Schule nicht weiß, welchen Lebensweg er einschlagen soll. Im Grunde interessiert ihn nichts, kümmert sich nicht um eine Lehrstelle, sondern hängt vorzugsweise mit seinen beiden Freunden herum. Mit ihren Mofas drehen sie Runden, lassen sich hie und da zu einer Aktion hinreißen, die man noch als dummen Streich abtun kann. Langsam steigert sich aber die Frustration Saschas, denn mit der Mutter gibt es immer wieder Krach und beim angehimmelten Mädchen kann er nicht landen. Rasch fasziniert ist er deshalb von den Skinheads, die in einer Waldhütte grölend feiern. Parallel dazu tut sich aber auch eine Alternative auf, denn in der Waldarbeit bei einem Bauern entdeckt Sascha endlich eine Arbeit, die ihm Freude macht.

Immer wieder gibt es ruhige Totalen des Dorfes, die den Eindruck einer Idylle vermitteln, doch Repond blickt hinter diese Fassade. Schon die kalte Winterlandschaft, die Reduktion auf Blau-Grau-Weißtöne und das kalte Licht lassen hier keinen Eindruck von Geborgenheit und Wärme aufkommen. Zu überzeugen vermögen auch die jugendlichen Schauspieler, aber gegen ein Drehbuch, in das schulbuchmäßig alle Momente eines "Falls" hineingepackt sind, und eine Regie, die keine Szene verdichtet, sondern diese nur aneinanderreiht, kommen sie nicht an. Holzschnittartig und plakativ bleibt hier alles von der Milieu- bis zur Figurenzeichnung, sodass sich nie Atmosphäre entwickelt, sich nie Beklemmung entstellt. Ein papierenes Thesenpapier, ein Lehrfilm zum Thema "Jugend heute" bleibt "Silberwald" so statt mit Figuren aus Fleisch und Blut packend eine brennende Geschichte zu erzählen.

Einen Blick in die Geschichte wirft Beat Bieri in "Das Kinderzuchthaus". Nicht zu übersehen ist, dass es sich hier um die Langfassung einer Fernsehdokumentation handelt. Off-Kommentar und Erzählungen einstiger Zöglinge des Kinderheims Rathausen bei Luzern bestimmen den Dokumentarfilm. Filmisch ist das wenig aufregend, doch erschütternd sind die Einblicke die die Männer und Frauen, die in den 30er bis 50er Jahren in diesem Heim aufwuchsen, bieten. Vom sadistischen und pädophilen Priester, der das Heim leitete, von Prügelstrafe, die teilweise zum Tod führte, für den dann Treppensturz als Ursache angegeben wurde, von Selbstmorden von Kindern erfährt man hier. "Prügel, Religion und Arbeit" waren die Erziehungsleitsätze. Eine scharfe Abrechnung mit kirchlichen Missständen, aber auch mit dem Kanton, der sich zu wenig um die Zustände im Heim kümmerte, zu wenig Geld dafür gab ist das – und ein wichtiger Film vor allem für die Betroffenen, die hier nochmals öffentlich ihre erschütternden Erfahrungen aufarbeiten können.

Tieftraurig ist auch die Geschichte, die Res Balzli in seinem Dokumentarfilm "Bouton" erzählt. Balzli begleitet die 33jährige Puppenspielerin Johana Bory durch ihre letzten Lebensmonate. Gegen die Ordnung der Natur mag es sein, dass ein junger Mensch stirbt, wie Johana feststellt, dennoch kann sie dem Tod nicht entkommen, denn sie hat Krebs. Bewegend sind die Szenen, wenn sie mit ihrer hinreißenden Puppe Bouton spricht, wenn sie vom Lachen und vom Genießen des Lebens erzählt und davon, dass sie gerade durch die Krankheit gelernt hat, das Leben intensiver zu erfahren, nie größere Freude am Puppenspiel empfand, nie liebevoller der Umgang mit ihrem Lebenspartner war. Das Beglückende eines Puppenspiels, das Kinder zum Lachen bringt, wechselt hier mit den Schmerzen, die die Krankheit bereitet, die Lebensfreude mit Verzweiflung und Todesnähe.

Nie kommt hier trotz der Nähe und der Intimität der Schilderung der Gedanke an Voyeurismus auf, mitfühlend und geduldig ist Balzlis Blick. Man spürt das unbedingte Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Porträtierten. In diesem Blick gewinnt diese auf jeden Kommentar verzichtende poetische filmische Begleitung, die zwischen Inszenierung und Dokumentation oszilliert, eine wunderbare Balance von tieftraurig und komisch, die zutiefst berührt und trotz des Todes nicht deprimiert, sondern letztlich zur Feier des Lebens wird und zur Aufforderung dieses intensiver und bewusster zu genießen.

Mit der fortgeschrittenen Parkinson-Krankheit eines tyrannischen Familienoberhaupts hat sich auch die seit Jahrzehnten in Kanada lebende Lea Pool ein schweres Thema vorgenommen. Im Mittelpunkt von "La dernière fugue" steht ein Weihnachtessen, zu dem die erwachsenen Kinder mit ihren Familien Vater und Mutter besuchen. Während die anderen vier Söhne und Töchter die Mutter drängen, den Vater in ein Heim einzuweisen, kommen bei André Erinnerungen an eine alles andere als heile Kindheit auf. Der Vater war nämlich ein Tyrann, misshandelte nicht nur André, sondern auch die Mutter. Doch angesichts der schweren Krankheit löst sich der Hass langsam auf, gewinnt das Mitgefühl und der Gedanke an eine menschenwürdige Behandlung bis zum Tod zunehmend an Gewicht.

Ein Enkel spricht sogar darüber dem Opa zu helfen zu sterben, statt dieses traurige entwürdigende Leben zu fristen. Und so feiert man bei einem zweiten Fest groß den Geburtstag, lässt den Opa auch hemmungslos die Speisen genießen, die ihm vom Arzt verboten sind, und fährt am nächsten Tag nochmals mit ihm zum Angeln.

Wie Balzli hält auch Pool in ihrem hervorragend besetzten und souverän inszenierten Drama wunderbar die Balance zwischen Tragik und Humor, feiert das Leben und wirft Fragen nach einem menschenwürdigen Sterben, nach eigener Entscheidung über den Tod, aber auch nach der Sinnhaftigkeit medizinischer Möglichkeiten, die das Leben zwar physisch verlängern, dem Menschen aber keine Würde mehr lassen, und nach dem Verzeihen auf. So ernst die Themen aber auch sind, so wird "La dernière fugue" dennoch nie schwer und niederschmetternd, denn in den Essensszenen mit ihren leiblichen Genüssen, in den Spielen der Kinder und nicht zuletzt in den kräftigen Farben strahlt dieser sehr menschliche und warmherzige Film Lebensfreude aus und ruft dem Zuschauer wie Balzlis "Bouton" ein "Carpe diem" zu.