Nuklearkrieg

Gegenwärtig beanspruchen die fortdauernde Euro-Krise und die immensen Korruptionsfälle die öffentliche Wahrnehmung und Meinung. Über Streitfragen wie "Ehrensold" für einen unehrenhaften Kurzzeitbundespräsidenten Wulff, weiterer Abbau von Sozialleistung um das strenge Sparprogramm zu erfüllen, Ausbau staatlicher Überwachung und Kontrolle, Kampf gegen Mißbrauch und Kinderpornografie werden existentielle Gefahren ganz anderer Größenordnung übersehen. Man gewinnt den Eindruck, dass gezielt abgelenkt wird, damit das eigentliche Geschäft, der Krieg, um so logischer und unabwendbarer nicht nur vorbereitet, sondern durchgeführt werden kann.

Nicht, dass die erwähnten Probleme keine ernsten wären. Aber es erstaunt, wie die nuklearen Kriegsdrohungen der "einzigen Demokratie in Nahost", Israels, und die Ihres Großen Bruders, der USA, außer in medialen Randzonen, nicht ernsthaft rezipiert und bewertet werden.

Es hilft auch nicht viel sich der Geschichte zu erinnern. Zu sehr hat die Verbildung, die systematisch seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Programm war, gegriffen. Warner oder Opponenten eines anvisierten Krieges werden als Weltfremde hingestellt bzw. als Feinde der "freien Welt". Israels Politik zu kritisieren wird mit dem üblen aber überaus tauglichen Killerargument des Antisemitismus etikettiert und damit aus der "seriösen" Debatte der politisch Korrekten eliminiert. Und die USA zu kritisieren kommt dem fast gleich. Der Machteinfluss des eigentlichen und wirklichen Kriegstreibers, USA, scheint schier unumschränkt. Jedenfalls zeigt die EU keine Anstalten einer eigenständigen Politik, und die europäischen "Qualitätsmedien" verhalten sich wie gleichgeschalten oder brain washed. Wer auf Studien, die nicht dort erschienen sind, verweist, macht sich als Demokratiefeind oder Helfershelfer der bösen Islamisten schuldig, meist verbunden mit dem pauschalen Vorwurf des Antiamerikanismus und Antisemitismus.

Doch die Häufung der Berichte und Kommentare über die gezielten Vorbereitungen Israels und der USA für einen Atomkrieg gegen den Iran in eben dieser Qualitätspresse zeigen auf, dass es nicht um Hirngespinste geht. Auch wenn die fast automatische, unreflektierte, fixierte Parteinahme für den "freien Westen", für Israel, erfolgt, läßt sich aus den Veröffentlichungen, so quer und falsch geredet sie auch sind, herauslesen, was auf uns mit hoher Wahrscheinlichkeit zukommt.

Wäre das kollektive Gedächtnis geschulter, fundierter bzw. fänden mehr individuelle Gedächtnis- und Erinnerungsleistungen, verbunden mit analytischen Folgerungen, den Weg ins sogenannte kollektive Gedächtnis, so dass gesellschaftlich die Auseinandersetzung, die "Debatte" realistischer stattfände, würde sich mehr Protest zeigen, würde Druck auf die Kollaborateure ausgeübt werden. So aber läuft im Gegenteil, durch Instrumentalisierung der Medien, Schüren der Angst vor dem Iran, vor den fanatischen Gotteskriegern, das tödliche Kriegsprogramm zielgerichtet ab.

Dabei liegen tonnenweise Informationen vor, hätte jeder Gelegenheit, X Dokumente, Untersuchungen und Berichte zu lesen, die nicht vom Pentagon, dem State Department oder der israelischen Regierung stammen und die das Propagandabild korrigierten. Mit Hilfe der Verdummungs- und Vernebelungskampagnen leistet die "freie Presse" der "freien Welt" jedoch das Gegenteil von Aufklärung.

Das Wesen dieser Presse hat in einzigartiger Weise der österreichische Journalist Karl Kraus vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg dargestellt und bloßgelegt. Vieles davon ist übernommen worden. Adorno schrieb in der amerikanischen Emigration 1947 in seiner "Minima Moralia":

"Die vollständige Verdeckung des Krieges durch Information, Propaganda, Kommentar, die Filmoperateure in den ersten Tanks und der Heldentod von Kriegsberichterstattern, die Maische aus manipuliert-aufgeklärter öffentlicher Meinung und bewußtlosem Handeln, all das ist ein anderer Ausdruck für die verdorrte Erfahrung, das Vakuum zwischen den Menschen und ihrem Verhängnis, in dem das Verhängnis recht eigentlich besteht. Der verdinglichte, erstarrte Abguß der Ereignisse substituiert gleichsam diese selber."

Das war vorher, nicht in diesem Jargon, schon bei Kraus zu lesen. Beide werden heute entweder nicht wahrgenommen oder, wenn doch, dann belächelt und abgetan, wie andere kritische Stimmen, die nicht ins Konzept passen, die vom main stream abweichen.

Adorno ging einen Schritt weiter in der modernen Deutung, bedingt durch die Kenntnis des Zweiten Weltkriegs, und konstatierte den Zusammenhang von Faschismus, den er eben auch in den USA (eigentlich im Kapitalismus) fand und öffentlicher Meinung:

"Sie entspringt gewiß aus der faschistischen Stimmung, die Realität des Grauens als "bloße Propaganda" von sich zu weisen, damit das Grauen einspruchslos sich vollziehe. Aber wie alle Tendenzen des Faschismus hat auch diese ihren Ursprung in Elementen der Realität, die sich nur eben gerade kraft jener faschistischen Haltung durchsetzen, die hämisch auf sie hindeutet."

Wer heute den Zusammenhang von kapitalistischer Programmatik als faschistischer mit der globalisierten Ausbeutung und den dazu notwendigen Kriegen zieht, wer Israel als rassistischen kapitalistischen Staat sieht, der dieser Programmatik folgt, disqualifiziert sich, weil über das Grundtabu des unheilvollen Kerns des Kapitalismus geschwiegen werden muss. Es herrschen Denkverbote und Glaubensvorschreibungen, denen die Mehrheit folgt.

Es könnte sein, dass die USA und Israel ihre Interessen im Nahen Osten auch ohne Nuklearkrieg, von dessen Notwendigkeit und Möglichkeit sie sprechen, erreichen. Nicht aber ohne Krieg. Nun, dann wir der Nuklearschlag nur vorderhand ausgesetzt. Man darf nicht vergessen, dass die USA die Nation sind, die bisher als einzige die Atombomben "erfolgreich" als Massenvernichtungswaffe eingesetzt haben, und dass Israel sanktionslos, gegen die Charta der Vereinten Nationen, mit Nuklearkrieg gedroht hat und droht. Alles im Namen des Friedens und "freien Westens" - und der Demokratie.

Bürgerprotest und kritische Leserstimmen werden das Szenario nicht verhindern. Aber sie setzten ein Signal, dass es Widerstand gegen die Kriegsführungen gibt, Protest gegen die Kriegspolitik "des freien Westens". Wenn jemand sagt, das sei irrelevant, dann soll er erklären, weshalb das Fehlen eines solchen breiten Widerstandes beim Aufkommen des Faschismus (rechter wie linker Art, also auch des Stalinismus) beklagt wird, weshalb von historischer Schuld geredet wird, während er hier und heute die Kritik und den Protest, die überaus notwendig sind, abtut. Wer hier schweigt, kollaboriert.