Ellen Harvey - Der enttäuschte Tourist

In Zeiten eingeschränkter Reisemöglichkeiten bietet die Ausstellung im Museum der Moderne Salzburg eine aktuelle kritische Auseinandersetzung mit der menschlichen Sehnsucht nach dem Anderen, Exotischen und Schönen. Sie feiert die Liebe des Menschen zu besonderen Orten, zur Natur und zur Vergangenheit, ohne dabei die ganz konkreten ökologischen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Sehnsucht aus dem Blick zu verlieren.

Die künstlerische Praxis von Ellen Harvey ist breit gefächert: Häufig stellt sie traditionelles malerisches Vokabular, postmoderne Strategien der Appropriation und Methoden wie Kartierung, Pasticcio und Institutionskritik einander gegenüber. Sie setzt sich mit Nostalgie, Ästhetik und dem Pittoresken auseinander. Dabei hinterfragt sie nicht nur tradierte Darstellungsweisen und -elemente, sondern widmet sich auch den Auswirkungen dieser Traditionen auf die heutige Gesellschaft und Politik. Zudem erforscht Harvey die Ästhetik des Malerischen, die unsere Wahrnehmung von und unseren Umgang mit Natur und Landschaft prägt. So sind bestimmte politische Entscheidungen, ob etwa ein Gebiet unter Schutz gestellt oder ob es dem menschlichen Gestaltungswillen unterworfen werden soll, von diesem Schönheitssinn mitbestimmt, der demnach ganz direkte ökologische Auswirkungen haben kann. Ihr Werk bedient sich oft des Humors und Spektakels, um die Betrachterinnen und Betrachter zu einer Überprüfung ihrer vorgefassten Meinungen anzuregen.

"The Disappointed Tourist" ist Harveys erste Einzelausstellung in Österreich. Die Schau zentriert sich um eine neue, laufend ergänzte Arbeit mit dem Titel "The Disappointed Tourist", die von den Kosmoramen Hubert Sattlers (1817– 1904) im Panorama-Museum in Salzburg angeregt wurde. Sattlers Gemälde berühmter Sehenswürdigkeiten sollten diese auch jenen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen visuell zugänglich machen, denen das Reisen versagt blieb. Im Gegensatz dazu schafft die Künstlerin seit 2019 Gemälde von Orten, die zerstört wurden und somit nicht mehr besichtigt werden können. Online stellt sie die Frage: "Gibt es einen Ort, den Sie (wieder) besuchen möchten, den es aber nicht mehr gibt?" Die als Antwort genannten Orte malt sie und bezeichnet und datiert sie nach dem Jahr ihrer Zerstörung.

Die Gründe für den Verlust sind vielfältig: Manche dieser Orte, wie der Baaltempel von Palmyra in Syrien (2015), wurden durch Kriegshandlungen zerstört, andere, wie die Alte Synagoge am Michelsberg in Wiesbaden in Deutschland (1938) fielen rassistisch motivierter Verwüstung zum Opfer. Harvey inkludiert in der Reihe aber auch Landschaften, die der fortlaufenden Zerstörung durch den Klimawandel unterliegen, wie das zu Australien gehörende Great Barrier Reef, und Orte, die durch technologischen Wandel oder Gentrifizierung verloren gehen, wie der Stadtteil Edmonton Green im Norden Londons. Besonders wichtig ist der Künstlerin die gleichwertige Behandlung von kulturell bedeutenden Orten und zutiefst persönlichen Lieblingsplätzen, von jüngst Verschwundenem und den großen Verlusten der Geschichte. Gegenwärtig umfasst der Zyklus mehr als zweihundert Gemälde.

Im Rahmen der Ausstellung laden die Künstlerin und das Museum der Moderne Salzburg das Publikum ein, weitere von Ellen Harvey zu malende Orte über die Website www.disappointedtourist.org vorzuschlagen.

Die Präsentation der 20 in der Ausstellung gezeigten Arbeiten ist in die drei Themenbereiche "Landschaft", "Tourismus" und "Spiegel" gegliedert und umfasst eine Auswahl der wichtigsten Projekte von Harvey, darunter "The Mermaid: Two Incompatible Systems Intimately Linked" (2019), ein 30,5 x 3,4 m großes handgemaltes "Satellitenbild" der Übergangszone zwischen Natur und Kulturlandschaft vom Everglades National Park bis Miami. Die Rauminstallation "Arcade/Arcadia" (2011–12) nimmt Bezug auf den ehemals berühmten Badeort Margate in Südost-England und den Maler J. M. W. Turner, der dort zahlreiche Gemälde der Küstenlandschaft schuf. Weitere zentrale Werke sind "The New York Beautification Project" (1999–2001), eine Reihe traditioneller Landschaftsgemälde, die die Künstlerin im New Yorker Stadtgebiet auf mit Graffiti überzogene Stellen gemalt hat, und "The Alien Souvenir Stand" (2013), ein Souvenirstand für künftige außerirdische Besucherinnen und Besucher der Ruinen von Washington, DC.

Die aus Großbritannien stammende Konzeptkünstlerin Ellen Harvey (geb. 1967) lebt und arbeitet in Brooklyn, NY, US.

Ellen Harvey. The Disappointed Tourist
23. Oktober 2021 bis 20. Februar 2022