Porträt einer verlorenen Avantgarde - Friedl Dicker und Franz Singer

Die Ausstellung im Wien Museum MUSA widmet sich den außergewöhnlichen Wohnräumen, Möbeln und Bauten der beiden Wiener Bauhaus-Schüler:innen Friedl Dicker und Franz Singer, deren Arbeiten eine Sonderstellung im Wien der Zwischenkriegszeit einnehmen. Die in Kooperation mit dem Bauhaus-Archiv Berlin realisierte Schau vermittelt erstmals einen umfassenden Überblick über die Arbeit von Dicker und Singer. Ein Großteil der Objekte ist zum ersten Mal öffentlich zu sehen.

Unter den Grundsätzen von Raumökonomie und Nutzungsvielfalt entwickelten Dicker, Singer und ihr Team zwischen 1925 und 1938 geometrisch klar gegliederte Interieurs, in denen Farbe und Materialität eine zentrale Rolle spielten. Die Möbel waren häufig klappbar, stapelbar und platzsparend konzipiert und fixer Bestandteil der Einrichtung, die je nach Nutzung ein unterschiedliches Erscheinungsbild annehmen konnte. Formale Strenge, funktionale Flexibilität und gestalterisches Raffinement sind Kennzeichen der Arbeiten des Ateliers. Es traf damit den Geschmack einer jungen, aufgeschlossenen Klientel von vorwiegend jüdischen Künstler:innen und Intellektuellen, die sich betont "modern" einrichten wollten und nach Alternativen zur etablierten Wiener Wohnkultur suchten.

Franz Singer (1896-1954) und Friedl Dicker (1898-1944) waren beide Schüler:innen an Johannes Ittens privater Kunstschule, als sie im Jahr 1919 mit etwa 16 weiteren jungen Künstler:innen Wien verließen, um ihrem Lehrer an das neu gegründete Staatliche Bauhaus in Weimar zu folgen. Die Ausstellung führt damit auch zurück zu den Anfängen der einflussreichsten Ausbildungsstätte für Architektur und Design im 20. Jahrhundert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die Namen dieser ersten Wiener "Bauhäusler" heute vergessen – viele von ihnen stammten aus jüdischen Familien und wurden während der NS-Zeit verfolgt oder ermordet, die meisten ihrer Arbeiten sind verschollen.

Auch Franz Singer und Friedl Dicker wurden Opfer der politischen Umwälzungen der 1930er-Jahre: Angesichts des zunehmend konservativen Klimas im autoritären "Ständestaat" ging die politisch aktive Friedl Dicker 1933 in die Tschechoslowakei, während sich Franz Singer 1934 in London niederließ.

Vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten sicher, gelang es Singer, in England Fuß zu fassen und seine Arbeit fortzusetzen. Friedl Dicker wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie den Kindern Zeichenunterricht gab. 1944 wurde sie in Auschwitz ermordet.

Die Wohnräume und Möbel von Franz Singer und Friedl Dicker sind zum größten Teil nicht mehr erhalten. Der Montessori-Kindergarten im Goethehof wurde 1938 zerstört, das Gästehaus Hériot, eines der bemerkenswertesten Dokumente des "Neuen Bauens" in Wien, wurde in den 1950er-Jahren demoliert, von den vielen Wohnungseinrichtungen haben sich meist nur Einzelstücke erhalten. Umso wertvoller sind jene Zeichnungen, Modelle und Fotografien, die sich im BauhausArchiv Berlin und in Wiener Privatbesitz erhalten haben und den Kern der Ausstellung bilden. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen für das Atelier charakteristischen axonometrischen Zeichnungen, die einen Eindruck von der Farbigkeit der Räume und ihrer Wandelbarkeit vermitteln.

Atelier Bauhaus, Wien
Friedl Dicker und Franz Singer
Bis 26. März 2023