Mitbegründer des Wiener Aktionismus Günter Brus †

Mit Günter Brus ist einer der zentralen Figuren und Mitbegründer des Wiener Aktionismus am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben. Brus, der auch als Maler und Zeichner eine unverwechselbare künstlerische Position verkörperte, wurde in den 1960er Jahren durch seine radikale Körperkunst und seine Aktionen bekannt – eine brachte ihm sogar eine Verurteilung zu einer Haftstrafe ein. Der Aktionist zählt mit seinem umfangreichen und vielschichtigen Werk zu den bedeutendsten österreichischen Künstlern der Gegenwart.

Brus, der am 27. September 1938 in der Steiermark geboren wurde, zählt zu den radikalsten Vertretern des Wiener Aktionismus, den er neben Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler und Otto Mühl mitbegründet hatte, und er gilt als Pionier der Body Art, der den Körper als ausschließliches Ausdrucksmedium in die Kunst eingeführt hat. In abgeschwächter Form hat sich die Körperbemalung allgemein unter dem Begriff des "Body Paintings“ auf Alternativfestivals bis heute gehalten. 

Wie der "Wiener Aktionist“ aus der Steiermark 1965 festhielt, handelt es sich bei der Selbstbemalung um eine Weiterentwicklung der Malerei. Brus: "Die Bildfläche hat ihre Funktion als alleiniger Ausdrucksträger verloren. (...) Durch die Einbeziehung meines Körpers als Ausdrucksträger entsteht als Ergebnis ein Geschehen, dessen Ablauf die Kamera festhält und der Zuschauer miterleben kann.“ Der Künstler brach damit aus dem klassischen Rahmen der Malerei aus und sprengte die Leinwand mittels Einsatz seines Körpers. Das Enfant Terrible der damaligen österreichischen Kunst rüttelte damit an gesellschaftlichen Konventionen und brach sämtliche bis dahin geltenden Tabus. „Aktionismus ist Kunst durch das Brennglas gesehen“, definierte Günter Brus. 

Zu Brus’ bekanntesten Beispielen der Body Art zählt sein "Wiener Spaziergang“, bei dem er 1965 aus einem Citroën 2CV ausstieg und in einem mit Dispersionsfarbe weiß bemalten Anzug mit einer mittigen, von Kopf bis Fuß reichenden schwarzen Linie durch die Innenstadt flanierte. Die Linie begann am rechten Fuß, zog sich über das Sakko, den Hals, den Mund, die Nase und den Scheitel und endete auf der Körperrückseite an der linken Ferse. Brus war gleichsam ein lebendes Bild, eine wandelnde Skulptur. Die schwarze Linie befleckte den Körper, teilte ihn und hielt ihn zugleich wie eine Naht zusammen. Günter Brus begann seinen "Wiener Spaziergang" am 6. Juli 1965 auf dem Heldenplatz als bewegliches Mahnmal – als ein Untoter, der mit diesem Auftritt gegen das autoritäre Klima der Zeit protestiert. Schon nach kurzer Zeit wurde er verhaftet und wegen Störung der öffentlichen Ordnung mit einer Geldstrafe belegt.  Es kommt in der Folge zu weiteren Aktionen, „Selbstbemalung I + II“, sowie zu den noch radikaleren „Selbstverstümmelungen“. Brus erprobt die Kunst am eigenen Körper, seine in einem öffentlichen Akt vollzogenen Bewegungen und Gesten führen zur Entgrenzung der Malerei.

Im Vergleich zur Performance „Kunst und Revolution“, die Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener 1968 im Hörsaal 1 der Uni Wien aufführten und die von Boulevardmedien als "Uni-Ferkelei" bezeichnet wurde, war der „Wiener Spaziergang“ noch relativ harmlos. Denn im Zuge von „Kunst und Revolution“ zeigte Brus, auf dem Katheder stehend, seine sogenannten „Körperanalysen“. Er schnitt sich dabei mit einer Rasierklinge in Brust und Oberschenkel, kotzte, defäkierte und onanierte und sang dazu noch die österreichische Bundeshymne. Alle Beteiligten wurden medial zu "Feindbildern" abgestempelt. Vor einer drohenden Haftstrafe in Österreich wegen „Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole“ flüchtete Brus nach Aufforderung von Gerhard Rühm zusammen mit seiner Frau Anna und der zweijährigen Tochter Diana nach Berlin.

Das Ende seiner performativen Phase führte ihn zurück ins Medium der Zeichnung, oder wie Brus es 1975 selber auf den Punkt brachte: "Der Strich gilt für den Schnitt ins Herz. Deshalb ist Zeichnen Geburt aus der Auslöschung."

In den 1970er-Jahren begann Brus seine Zeichnungen mit seinem literarischen Schaffen zu verschränken. Er prägte damit den Begriff der "Bild-Dichtung“. Es handelt sich um ein Aufeinandertreffen von Bildhaftem und Textlichem, ohne dass eine gegenseitige Abhängigkeit begründet wird. 


Nachdem die verhängte Haftsprache gegen Brus in eine Geldstrafe umgewandelt wurde, kehrte die Familie Brus 1979 in die Steiermark zurück. Insgesamt wird Günter Brus’ Œuvre heute auf 30.000 bis 40.000 Werke geschätzt. Ein großer Sammlungsankauf des Landes Steiermark legte 2008 den Grundstein für ein eigenes Brus-Museum innerhalb der Neuen Galerie in Graz. Als dieses „Bruseum“ 2011 eröffnet wurde, umfasste dessen Sammlung 19 Filme, 1.181 Einzelfotos zu 19 Aktionen sowie 39 Zyklen und Bild-Dichtungen aus insgesamt 499 Blättern. Seither wird der Bestand sukzessive ergänzt und erweitert. 

Das Kunsthaus Bregenz widmet dem Ausnahmekünstler vom 17.2. bis 20.5. eine Einzelausstellung. Brus wollte sowohl bei der Medienkonferenz als auch der Eröffnung persönlich dabei sein.