Radikal. Subversiv. Schockierend. Rebellisch.

Das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft zeigt vom 5. April bis 17. August 2008 die Ausstellung "Radical Advertising". Die Schau mit dem provokanten Titel zeigt, daß der Wechsel vom 20. zum 21. Jahrhundert einen radikalen Paradigmenwechsel in der Werbung markiert. Unter dem Vorzeichen der Globalisierung werden die 90er Jahre des 20sten Jahrhunderts zum Jahrzehnt der No-Logo-Bewegung und des Adbusting - ein Angriff auf die Vermüllung der semiotischen Umwelt mit Werbebotschaften.

Geradezu federführend dabei war die Modeindustrie: sie verkaufte es nicht nur als chic, gehijackte Logos zu tragen, sondern bediente sich in ihren Werbeauftritten auch erfolgreich der Techniken der Antiwerbung. Und wird damit zu einem Vorreiter eines radikal gewandelten Werbeverständnisses, das die Angriffe politischer wie künstlerischer Positionen auf die globale Werbung erfolgreich in Kampagnen inkorporiert. Die Ausstellung zeigt die Adbuster Kampagnen und die kritischen Kunstreflexionen von Künstlern wie Jeff Koons, Damien Hirst, Cindy Sherman und Daniel Buetti ebenso wie die meinungsbildenden Kampagnen von Benetton, Sisley oder Diesel, von Helmut Lang, Calvin Klein oder Comme des Garcons.

Vieles, was in den 80er und 90er Jahren auf den Plakatwänden klebte oder in Magazinen als Anzeige erschien war schockierend, stellte die Werbewelt auf den Kopf und führte zu heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Bei Benetton ging die Kontroverse schließlich soweit, daß sich nicht nur die Magazine weigerten, Anzeigen mit Motiven aus den Todeszellen amerikanischer Gefängnisse zu veröffentlichen, sondern auch die Händler weigerten sich, Benetton Produkte weiter zu führen.

Die Globalisierung zeitigt seit den 90er Jahren nämlich auch einen fundamentalen Wandel im Media-Konsum der Verbraucher. Auf den Mediaoverkill durch die totale Fragmentierung des Fernsehens, durch Web, Mobilfunk und Instant Messaging antwortet die Werbung mit einer zweiten ebenso radikalen Volte im 21. Jahrundert: sie entfernt sich von der Massenkommunikation und spricht den einzelnen dort an, wo sie ihn erreicht. Die Beziehung zum Konsumenten wandelt sich vom Passiven zum Aktiven. Buzz-Marketing, Guerilla- und Ambient-Werbung, Web2.0 erfinden den teilnehmenden Consumer.

Die Ausstellung baut dazu spektakuläre Ambient Werbeauftritte dreidimensional nach und führt in die Werbewelt des Web2.0. und auf Youtube. So steht ein zum Hotelzimmer umfunktionierter Mini (der vor den Stadien der Fußball-WM in Deutschland parkte) neben einem schockierenden Gullydeckel, aus dem zwei Hände ragen (für Amnesty International), so wirbt Horst Schlämmer in einem Block für Volkswagen neben einem interaktiven Pissoir für die Frankfurter Taxi-Innung.

Auch hier greifen wieder Künstler subversiv und agressiv in die Werbewelt ein: Zevs "kindnapped" Werbefiguren aus Plakaten, Tom Sachs "baut" in Heimwerkermanier ein McDonald Restaurant nach und ganz am Ende dieser Reihe steht die Werbung von American Apparel. Ein Konzern, der seine Produkte nicht mit einem Logo branded und der seine Konsumenten als Models in den Anzeigen veröffentlicht. Hier wird nicht nur jeder für 15 Minuten berühmt wie bei Andy Warhol, hier gestaltet der Käufer selber die Anzeige, die ihn animieren soll, Produkte zu kaufen.

Mittelpunkt der Ausstellung ist ein Comme des Garcons Guerillastore, der mit den neuesten Modellen des Modelabels und mit Retro-Produkten bestückt ist. Eine Boutique, die mit Ausstellungsbeginn auftaucht und an ihrem Ende wieder verschwindet. Ein Konzept, das Comme des Garcons schon in vielen Städten – wie Berlin, Singapur, Krakau, Glasgow, ... – verwirklicht hat; jedoch noch nie in einem Museum. Rebellisch wird die fortschreitende Merkantilisierung der Museen auf die Ironie-Spitze getrieben. Durch den Maschendrahtzaun des Store wird sich der vergitterte Blick in die Schauräume des Museums richten. Und im Museumsraum stehen die Besucher und schauen durch den Zaun in die Glitzerwelt des Konsums.

Der Begriff des "Radical" umfaßt die beiden Seiten der Bedeutung des Wortes - zum Einen das Radikal im Sinne des "Revolutionären" - zum Anderen die eher widersprüchliche Bedeutung des Wortes im Sinne von "fundamental" oder "grundsätzlich". Und genau darum geht es der Ausstellung: Um Werbung, die einen grundsätzlich anderen Ansatz postuliert, die revolutionär ist, weil sie die Grundlagen des Systems geradezu auf den Kopf stellt.

Während die Schau die Geschichte der Schockwerbung an vielen Beispielen aufrollt und die schnellstlebigen Beispiele von Pop-Up Stores und Guerilla-Aktionen plastisch erlebbar macht, liefert der über 400 Seiten starke Katalog (für 29,90 Euro!) neben den hunderten Bildbeispielen Texte von Peter Wippermann und Diederich Diederichsen sowie zahlreiche Interviews, die Hermann Vaske mit den Protagonisten des Radikalen wie Renzo Rosso (Diesel), Oliviero Toscani (Benetton), Kalle Lasn (Gründer von Adbusters) und Kreativen aus aller Welt führte.

Einen ganz anderen Zugang zur Ausstellung bietet die deutsche Pop-Band "Mia" und ihre Sängerin Mieze, die für die Ausstellung einen Guide produzierte, der in der Ausstellung selber von jedem Handy aus per Bluetooth-Schnittstelle abgehört werden kann oder aber per Podcast auf der Website des NRW-Forum angeschaut werden kann.


Radical Advertising
5. April bis 26. August 2008