Zynischer Gesellschaftskritiker: Zum 100. Geburtstag von Robert Aldrich

6. August 2018 Walter Gasperi
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Kraftvoll, aber oft auch mit einem Hang zum Reißerischen und Zynischen sind viele Filme von Robert Aldrich. In seinen Western ergriff er mehrfach Partei für die amerikanischen Ureinwohner, sein größter Erfolg gelang ihm 1967 mit dem harten Kriegsfilm "The Dirty Dozen", schauspielerische Höchstleistungen entlockte er Bette Davis und Joan Crawford im Psychothriller "What Ever Happened to Baby Jane?". Am 9. August wäre der 1983 verstorbene Amerikaner 100 Jahre alt geworden.

Nicht im künstlerischen Bereich stieg der am 9. August 1918 in Cranston, Rhode Island geborene Robert Aldrich ins Filmgeschäft ein, sondern wurde nach einem Studium des Rechts und der Betriebswirtschaft 1941 in Hollywood zunächst juristischer Angestellter der Produktionsgesellschaft RKO. Bald war er aber auch als Produktionsleiter tätig und assistierte Regisseuren wie Edward Dmytryk, Jean Renoir, Joseph Losey, Charlie Chaplin, William Wellman und Lewis Milestone.

Die Vielfalt der Regisseure, für die er arbeitete, sah er später als großen Vorteil an, denn so habe er eine breite Sicht auf die Probleme der Regie bekommen und von jedem seiner Lehrmeister etwas anderes gelernt. Er begann auch für Fernsehserien zu schreiben und Folgen zu inszenieren, sein Kinodebüt gab er 1953 mit dem außerhalb den USA weitgehend unbekannten Baseball-Drama "The Big Leaguer".

Zwei Jahre später schaffte er den Durchbruch und Francois Truffaut schrieb sogar vom Jahr des Robert Aldrich, denn mit den Western "Apache" ("Massai", 1954) und "Vera Cruz" (1954), dem Hollywood kritisierenden Drama "The Big Knife" (1955) und dem Film noir "Kiss Me Deadly" (1955) kamen in diesem Jahr gleich vier Filme von Aldrich heraus.

Während er in "Massai" entschieden die Position der Indianer vertrat und scharfe Kritik an der Eroberung des Westens durch die Weißen übte, legte er den im Mexiko des Jahres 1860 spielenden "Vera Cruz" als komödiantischen Western an, bei dem er auf die Starpower von Gary Cooper und Burt Lancaster setzte. Mit letzterem arbeitete Aldrich auch fast 20 Jahre später in seinem wiederum kritischen Western "Ulzana´s Raid" (1972) zusammen.

Bissige Kritik an der Traumfabrik Hollywood übte er mit "The Big Knife" ("Hollywood Story", 1955), in dem ein sensibler Schauspieler von einem Produzenten in den Selbstmord getrieben wird, während ihm mit der Mickey Spillane-Verfilmung "Kiss Me Deadly" ("Das Rattennest", 1955) einer der düstersten und dreckigsten Filme des an düsteren und dreckigen Filmen nicht armen Film noir gelang.

Auch mit dem Kriegsfilm "Attack!" ("Ardennen 1944", 1956) wusste er durch die realistisch-harte Erzählweise zu beeindrucken, während an "The Angry Hills" ("Hügel des Schreckens", 1959) die reißerischen Elemente kritisiert wurden. Nachdem er in Italien den Monumentalfilm "Sodom und Gomorrha" (1962) gedreht hatte, sorgte er in den USA wieder mit dem Psychothriller "What Ever Happened to Baby Jane?" für Aufsehen.

Standen bislang immer Männer im Zentrum von Aldrichs Filmen, so bot er mit dieser Geschichte um zwei verfeindete Schwestern, die sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen, den Altstars Bette Davis und Joan Crawford Paraderollen. Der Erfolg dieses Thrillers schrie geradezu nach einem Nachfolgefilm, der zwei Jahre später mit „Hush ... Hush, Sweet Charlotte“ ("Wiegenlied für eine Leiche", 1964) folgte. Die Thriller- und Gruseleffekte trieb Aldrich in dem atmosphärisch sehr dichten Schwarzweißfilm noch weiter, wenn die von Olivia de Havilland gespielte Protagonistin ihre Cousine (Bette Davis) mit Hilfe eines Arztes sukzessive in den Wahnsinn treiben will.

Klassisches Männerkino boten aber wieder der große Abenteuerfilm "The Flight of the Phoenix" (1965), in dem Aldrich den Absturz eines Flugzeugs in einer Wüste nutzte, um die Charaktere der Überlebenden und die gruppendynamischen Prozesse beim Versuch aus der Notlage zu entkommen zu durchleuchten.

Noch mehr auf Starbesetzung setzte Aldrich beim folgenden Kriegsfilm "The Dirty Dozen" (1967), in dem ein Major den Auftrag erhält mit zwölf psychopathischen Kriminellen ein SS-Lager auszuheben. Statt kritische Akzente kennzeichnen Verharmlosung von Gewalt und Verherrlichung des Kriegs als Abenteuer für harte Männer diesen Film, der gleichwohl oder gerade deswegen zu einem der größten Kassenschlager des Jahres 1967 wurde.

Immerhin konnte sich Aldrich aufgrund dieses Erfolgs ein eigenes Studio erwerben. Nach finanziellen Debakeln musste er dieses jedoch 1973 wieder aufgeben. Weder mit "The Legend of Lylah Clare" ("Große Lüge Lylah Clare", 1967), in dem er noch schärfer als zwölf Jahre zuvor in "The Big Knife" mit Hollywood abrechnete, noch mit dem Kriegsfilm "Too Late the Hero" ("Zu spät für Helden – Antreten zum Verrecken", 1970) konnte er reüssieren und auch die Qualität seines Western "Ulzana´s Raid" wurde erst lange nach der Uraufführung erkannt.

Ziemlich klanglos endete Aldrichs Karriere mit dem Thriller "Twilight´s Last Gleaming" ("Das Ultimatum", 1977), der Westernkomödie "The Frisco Kid" ("Ein Rabbi im Wilden Westen", 1979) und der Wrestlerinnen-Komödie "...All the Marbles" ("Kesse Bienen auf der Matte", 1981) ehe er am 5. Dezember 1983 im Alter von 65 Jahren in Los Angeles starb.

Trailer zu "Kiss Me Deadly - Das Rattennest"