Zweimal Norma in Wien. Asmik Grigorian gibt sie unvergleichlich

Zuerst im MusikTheater an der Wien mit einer fulminanten Asmik Grigorian in schlüssiger Inszenierung aufgeführt, wird die bekannteste Oper von Vincenzo Bellini eine Woche später an der Wiener Staatsoper von der Regie förmlich versenkt. Eine ungünstige Terminkollision. Asmik Grigorian war ursprünglich schon für 2020 gebucht, aus Pandemiegründen gab es die Verschiebung. Um es gleich vorweg zu nehmen, was diese Sängerin auf die Opernbühne bringt, gehört zum Besten was in Wien seit Langem zu hören und zu sehen war.

Ein Erlebnis ist schon allein der Besuch des im neuen Glanz erstrahlten MusikTheater an der Wien, nach den langen Jahren in der Ausweichlocation im Museumsquartier. Bei der Inszenierung von Vasily Barkhatov spielt die Geschichte nicht im von den Römern besetzten Gallien, sondern in einem Land des 20. Jahrhunderts, das in eine Diktatur gekippt ist. In der Fabrik (räumlich sehr gut mit diffizilen Ebenen gelöst) wurden früher christlich-religiöse Statuen hergestellt (während der Ouvertüre schlüssig visualisiert), zehn Jahre später jedoch nur mehr Büsten des Diktators. Die Bruchstücke von damals sind Reliquien für Normas rituelle Handlungen. Die bekannteste Arie „Casta diva“ – das Gebet an den Mond, der als weibliche, Frieden stiftende Kraft verehrt wird – ist nicht nur wegen der immensen Ausdruckskraft Asmik Grigorians, sondern auch wegen seiner heutigen Brisanz so tiefberührend. Dieses Friedensgebet steht der hitzigen Lust am Kampf der Unterdrückten entgegen, die zur Rebellion bereit sind.

Norma hat Gründe für die Zurückhaltung, ist sie doch die heimliche Geliebte des römischen Anführers Pollione, mit dem sie sogar zwei Kinder hat. Lüge und Verrat an den Idealen ihrer Leute beinhalten auch den großen innerlichen Konflikt. Wenn dann die jüngere Priesterin Adalgisa vom Keuschheitsgelübde entbunden werden will, eskaliert es am Ende des ersten Aktes zum Beziehungsdrama im intimen Raum (höchst gelungenes Bühnenbild!) der Wohnung von Norma. Aigul Akhmetshina ist mit ihrer satten Mezzostimme eine famose Gegenspielerin, ergreifend das Duett, wenn Adalgisa ihre verbotene Liebe gesteht und Norma sich schauerlich an die eigene Verliebtheit erinnert, bis offenbar wird, dass es um Pollione geht. Atemberaubend!

Dirigent Francesco Lanzillotta weiß genau: „Die Herausforderung in der Rolle der Norma liegt nicht so sehr im Stimmlichen, sondern in dem sehr komplexen Charakter der Figur. Wenn wir eine solche Frau im Jahr 2025 darstellen, dann brauchen wir nicht nur eine Sängerin, die die hohen Töne und die Koloraturen sowie das Legato und die vielen Farben, die diese Rolle erfordert, technisch singen kann, sondern wir brauchen eine große Interpretin!“. Und plötzlich steht Pollione – Freddie de Tommaso gibt ihn mit kräftigem Tenor – in der Tür und Norma deckt auf, holt ihre Kinder aus dem Versteck, rastet aus. Musikalisch hört man „vor allem, wenn sich der Druck entlädt … In der Oper singen alle drei gleichzeitig, wie unter Schock, und der Tonfall der Musik ändert sich alle paar Takte“, sagt Barkhatov zur komplexen Struktur dieser Oper und vermag all dies zusammen mit Lanzillotta absolut erleb- und nachvollziehbar zu machen.

Norma an der Wiener Staatsoper

wird mit völlig anderem Ansatz entwickelt. Die Inszenierung von Cyril Teste bleibt ganz nah an den Regieanweisungen des Librettos von Felice Romani 1830 (im Programmheft bekommen wir die wörtliche deutsche Übersetzung sogar mitgeliefert) – und darin stecken. „Das Stück spielt in Gallien, im heiligen Wald und im Tempel“ – in der Staatsoper aber doch wieder in einer Art Fabrikhalle des 20. Jahrhundert, die über vollflächige Projektionen mehrmals in einen Wald oder eine Ruinenlandschaft verwandelt wird, als Partisanenkampf, im Vintage Look der 30er Jahre die Kleidung. Das Ambiente bekommt, wie einst bei Testes Salome (siehe Artikel kultur online), wieder eine olfaktorische Dimension – eine dem Programmheft beigelegte Duftkarte soll die Heiligkeit des Druidenwaldes verbreiten – die, weil erst im Eigenheim möglich, als Gag verpufft.

„Alle entfernen sich und verlieren sich im Wald […] Hierauf treten xy von einer Seite auf“. Die Personenführung kommt über antiquiertes Rampentheater nicht hinaus. Und wenn es wenigstens eine Rampe geben würde! Ratlos bemüht sich die Zuseherin über die Köpfe der vorderen Reihen hinweg ein Gesamtbild zu erfassen und mit der Handlung in Einklang zu bringen. Cyril Teste gelingt es nicht, die Geschichte in ein szenisches Drama zu verwandeln. Am Bühnenboden angeklebt scheint der Staatsopernchor zu sein, und die heilige Handlung der Norma bei Mistelschneiden und Anbetung der „Casta Diva“ wird mit den aufwändigst gestaltet und gefertigten Kopf- und Umhängetüchern (nur durch die Erläuterung der Kostümbildnerin im Programmheft zu durchschauen) auch nicht schlüssiger.

Normas Geheimnis bekommt durch überdimensionale Videoprojektionen raumfüllende Präsenz: Eine Livekamera (wie bei Salome) kommt ihren Kindern beim Essen, Schlafen, Spielen irritierend nahe. Mitunter erscheint auch das verzweifelte Gesicht der Protagonistin selbst und sollte wohl die Konflikte der Druidin herauszoomen. Federica Lombardi gibt die Norma einwandfrei, die Koloraturen, die innigen lyrischen Passagen meistert sie wunderbar, doch Charisma und Dringlichkeit dieser Figur kommen nicht rüber. Vielleicht liegt es auch an der statischen Personenführung, wenn in der dramatischen Schlussszene des ersten Aktes Vasilisa Berzhanskaya als Adalgisa, Pollione – nicht unbedingt die optimale Rolle für Juan Diego Flórez – und Norma als leidenschaftsloses Trio nebeneinander das Publikum ansingen und aneinander verblassen.

Adalgisa ist hier nach Überzeugung des musikalischen Leiters Michele Mariotti nicht wie üblich mit Mezzo, sondern mit Sopranstimme besetzt. Er geht mit Bellinis Musik hingebungsvoll und wie er sagt „behutsam wie mit einem alten Menschen“ um. Im folgenschweren Duett „zeigen die beiden Frauen zwar eine sehr unterschiedliche Emotionalität – aber die Tatsache, dass sie eben in Pollione denselben Mann lieben, soll durch die Ähnlichkeit der Stimmen zum Ausdruck gebracht werden“, zum Verwechseln ähnlich sollten sie klingen und die Unterscheidung nur durch die Verschiedenheit der Emotionalität in der Musik herauszuhören sein. Und auch wenn Michele Mariotti über die „geglückte, stringente Verbindung der einzigartigen melodie lunghe – der unendlichen Melodien – mit den vielfältigen Ausdrucksnuancen, die das Drama schlechthin, Emotionen wie Situationen, lebendig werden lassen“ in Bellini´schen Partituren weiß, verliert sich das „Gesamtbild“ in den ausufernd zelebrierten Details.

Zum Schluss wird es dann doch noch stimmig, sobald die feuerflammengelborange raumhohe Stoffbahn aufgezogen wird, um den Scheiterhaufen zu symbolisieren – bis Norma mit einem Blechkanister nach hinten schreitet und sich mit „Benzin“ übergießt! Es bleibt zu hoffen, dass bei der Wiederaufnahme im Mai regiemäßig einiges überarbeitet wird.

Norma am MusikTheater an der Wien
Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Bühne: Zinovy Margolin
Kostüm: Olga Shaishmelashvili
Wiener Symphoniker und Arnold Schoenberg Chor
Norma: Asmik Grigorian
Adalgisa: Aigul Akhmetshina
Pollione: Freddie De Tommaso
Oroveso: Tareq Nazmi

Norma an der Wiener Staatsoper
Musikalische Leitung: Michele Mariotti
Inszenierung: Cyril Teste
Bühne: Valérie Grall
Kostüme: Marie La Rocca
Orchester und Chor der Wiener Staatsoper
Norma: Federica Lombardi
Adalgisa: Vasilisa Berzhanskaya
Pollione: Juan Diego Flórez
Oroveso: Ildebrando D'Arcangelo