Ziemlich frech. Der Blick auf die Meisterwerke

Die eigentliche Kunstliebhaberin und Protagonistin im Roman von Regine Koth Afzelius ist Claire: Tierärztin, interessiert, originell. Sie reagiert heftig auf die Impulse des verschrobenen Kunstexperten Leo, dessen Spezialgebiet die Meisterwerke der italienischen Renaissance sind. Acht Gemälde, acht Kapitel – spannend und zügig führen sie auf die jeweilige Pointe, die doch noch einiges zum Weiterspinnen übrig lässt.

Leo hat die wesentlichen Hinweise immer bestens vorbereitet und Claire sprudelt mit ihren Assoziationen los. Auch mal übertrieben, wenn anlässlich der 'Beschneidung Christi' von Parmigianino im Dialog von Maria 1 und 2 das gesamte Evangelium auf die Schippe genommen wird. Man verzeiht ihr, es hat einen eigenen Witz. Wie man sich auch amüsiert auf Regine Koth Afzelius´ Art des Schreibens einlassen kann. Pikant wird es bei Tizians 'Venus von Urbino' und dem Hinweis zu einer Offensichtlichkeit: "Und vorne auf dem Bild – die Wangenröte! Ein Pin-up-Girl, diese Venus. Auf zerwühltem Seidenlaken wölbte sie sich Claire zu, mit zartem Blick, Hand auf der Rose der Rosen. Ein flüsternder Duft." Und das ist nicht alles, was es in diesem Kapitel zu entdecken gilt, es ist nämlich mit 'Mord in der Hochzeitstruhe' überschrieben.

Was macht eigentlich die linke Hand Gottes auf dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo? Was verrät Raffaels 'Schule von Athen' über die Eifersüchteleien zwischen zwei Künstlern, die sich zeitgleich in den vatikanischen Gemäuern verwirklichen durften? Michelangelo arbeitete damals in der Sixtinischen Kapelle. Schon bei Tizians Kirschenmadonna – überschrieben mit 'Das himmlische Glied' – drängt sich Freund Max als Adressat der eifrigen Interpretationen Claires in den Vordergrund. Leo ist selber schuld, er verweigert ja sogar das für seinen Auftritt organisierte Diskussionsforum zum Meisterwerk Leonardo da Vincis "Das Abendmahl" im 'Kult' (Assoziationen mit dem Café Am Heumarkt erlaubt?). Ob und wie es mit Claire und Leo weitergeht, dürfen sich die LeserInnen ausdenken. Die vergnügliche Betrachtungsweise von Alten Meistern individuell weiterzuverfolgen, ist mit diesem Roman jedenfalls angeregt.

Regine Koth Afzelius: Der Kunstliebhaber
Edition Roesner, 2019
Krems an der Donau
ISBN 978-3-903059-79-5