Zeitlos modern

Schon ein Jahr lang eröffnet mir die Recherche zum Buch über den bedeutenden Architekten Rudolf Wäger, der die Vorarlberger Bauschule so sehr geprägt hat, unglaublich erlebnisreiche Einblicke in seine Häuser. Willkommene von den Menschen, die ein von ihm geplantes Haus bewohnen, erstaunliche, die das Architekturherz höher schlagen lassen.

Franz Rauch öffnet die Türe. Auch er ist einer dem heute noch bewusst ist, welch qualitätsvolle Räumlichkeiten seine Familie seit über vierzig Jahren bewohnt. Er war der erste von den Rauch-Geschwistern, der sich am Hügel in Schlins über ein Eigenheim traute. Franz war jung, kehrte gerade aus Kamerun zurück, wo er gleich nach dem Studium einen Aufenthalt zur Entwicklungshilfe in Afrika angeschlossen hatte. Besonders inspirierend waren für ihn die Split-Level in den Lehrerhäusern einer Basler Mission. Die Wahl des Architekten, mit dem er sein großes Vorhaben verwirklichen wollte, war naheliegend. Fasziniert von der Siedlung Ruhwiesen in der Nachbarschaft lag er bei Rudolf Wäger genau richtig mit seinen Ideen.

Auch wenn man Wäger-Bauten auf den ersten Blick erkennt, sie auch ziemlich genau zeitlich einordnen kann, Situationen, Elemente, Grundrisse verwandt sind, ist doch jedes Haus neu gedacht. Raumsequenzen, Ausblicke, Freiräume sind immer präzise und erlebnisreich auf die BewohnerInnen, Nachbarschaft wie Naturlandschaft zugeschnitten. Seine Grundrisse zu studieren ist ein Genuss. Doch was dann als dreidimensionale, durchkomponierte Realität dasteht, erstaunt jedes Mal aufs Neue. In diesem Fall sind die Sichtmauerwerk-Scheiben nach Ost und West um knapp zwei Meter versetzt, der Eingangsspalt formuliert den Sprung zwischen den Niveaus des auf dem Keller sitzenden Schlafgeschoßes und den tieferliegenden Wohnräumen aus. Die Zimmereinteilung folgt einem 1,90 Meter-Raster, der auch bei den Leimbindern der Konstruktion ablesbar ist. Die Proportionen stimmen, und mit der ausgewogenen Glasfassade nach Süden – das Vordach über die ganze Länge sorgt für perfektes Wohnklima – wirkt der offene Wohn-Essraum außerordentlich großzügig. Die Küche schließt in ausgeklügelter Funktionalität an: Raumtrennung ist neben der Schiebetüre ein beidseitig bedienbarer Einbauschrank; ein Arbeitstisch entlang des Fensterbandes; die allseitig bedienbare Insel in der Mitte.

Die Raumkomposition ist schon vom kompakten Eingangsbereich aus spürbar. Ein Durchblick da, Sonnenstrahlen dort, die Raumsequenzen finden ihren Höhepunkt im Gangbereich vor den Schlafzimmern. Dort schweift der Blick dann durch das Fensterband über das begrünte Flachdach des Wohnraums der Bergkette und dem Himmel zu. Qualität hat Bestand, räumliche sowieso und gleichermaßen die der Materialien. Zeitlos modern.

Die Monografie "Rudolf Wäger. Baukünstler. 1941–2019" erscheint im Frühjahr 2021 bei Birkhäuser. Herausgeber: vai Vorarlberger Architektur Institut und Az W Architekturzentrum Wien; Autorinnen: Martina Pfeifer Steiner und Marina Hämmerle; Fotografie: Markus Gohm.

Sammelaktion des VAI für das Projekt Rudolf Wäger. Baukünstler. 1941–2019