Film ist immer eine Frage des Blicks. Besonders deutlich wird dies, wenn es um die Intimssphäre des Menschen oder gar ums Sterben geht. Nähe muss der Regisseur dabei suchen und doch verhindern ins Voyeuristische abzugleiten und die Porträtierten vorzuführen. Schwierig ist dieser Balanceakt, doch Anita Natmeßnig gelingt er in ihrem ersten Kinodokumentarfilm in beeindruckender Weise.
Drei Monate lang hat die 1963 geborene Filmemacherin das Leben und Sterben im Wiener Hospiz Rennweg begleitet. Man merkt, dass sie sich mit dem Ort und dem Personal, vor allem aber mit den sechs unheilbar an Krebs erkrankten Patienten, die porträtiert werden, intensiv beschäftigt und ihr Vertrauen gewonnen hat. Der Blick Natmeßnigs entspricht dem der betreuenden Schwestern: ganz nah ist sie an den Patienten, führt sie aber nie vor, sondern begleitet sie äußerst behutsam und voller Empathie. Wie sich die Schwestern bei der Pflege Zeit lassen und die Wünsche der Patienten von Zithermusik bis Friseur erfüllen, so ist auch der Film geduldig. »Zeit zu gehen« verharrt in langen starren Halbnahaufnahmen und lässt auch Momente der Stille zu. Die Regisseurin hält sich ganz zurück, lässt die Patienten sprechen und stellt selbst möglichst wenig Zwischenfragen. Nötige Informationen über das Hospiz und die Porträtierten werden nicht über einen Off-Kommentar, sondern durch kurze Schriftinserts geliefert und auch auf Musik wird fast ganz verzichtet Die Außenwelt dringt nur durch leisen Autolärm oder den Blick auf die Kondensstreifen am Himmel in diesen Ort der Stille. Eindringlich wird durch diese Erzählweise die in diesem Hospiz herrschende Ruhe, durch die ein Sterben in Würde ermöglicht werden soll, vermittelt. Von der Vergangenheit erzählen die Porträtierten nur wenig, und dennoch entwickeln sich kleine Geschichten: Da schildert der 61 jährige Herr Moser, wie er seine Frau kennenlernte, die 91-jährige Frau Reisinger betrachtet Familienfotos und erhält Besuch von ihren Urenkeln und die sich durch den ganzen Film ziehende Krankengeschichte von Herrn Lienhart, der entlassen wird und dann doch zum Sterben ins Hospiz zurückkehrt, sorgt für einen dramaturgischen Bogen. Sterben wird hier als natürlicher Teil des Lebens betrachtet. Und so konzentriert sich der Film weitgehend darauf zu zeigen, wie trotz der Gewissheit des nahenden Todes ein würdevolles Leben möglich ist.während Fragen nach Jenseits, Lebenssinn und der Existenz Gottes nur ganz am Ende kurz aufgeworfen werden. – »Zeit zu gehen«, der zwar das Sterben an sich, aber nicht die liebevolle Aufbahrung der Verstorbenen ausblendet, ist kein Plädoyer für Sterbehilfe, sondern in der genauen und empathischen Beobachtung einerseits Dokumentation liebevoller und fürsorglicher Sterbebegleitung andererseits auch selbst ein Akt der Sterbebegleitung.
Wird bis Donnerstag (8.11.) vom TaSKino Feldkirch im Kino Namenlos in Feldkirch gezeigt