Yoan Mudry - Die Zukunft braucht uns nicht

Seit fünfundzwanzig Jahren präsentiert die Kunsthalle Basel neu beauftragte Kunstprojekte an der Rückwand der Institution in der Absicht, den öffentlichen Raum mit zeitgenössischer Kunst zu aktivieren und zu beleben. Für 2021/2022 wurde Yoan Mudry eingeladen, ein neues Projekt für diese Wand zu entwickeln.

Mudry gelang es in nur wenigen Jahren, ein eindrückliches Spektrum an Performances, Installationen und Malerei zu schaffen. Trotz seiner Praxis in unterschiedlichen Gattungen, erlangte der Schweizer Künstler rasch Bekanntheit mit seinen lebendigen, hyperrealistischen Gemälden, deren Bildsprache aus der heutigen Populärkultur schöpft. In ihnen vermischt er Referenzen aus der Hoch- und Massenkultur; er bedient sich frei an Emojis und Zitaten aus der Werbung, aus Filmen oder Buchtiteln, Comics oder Memes aus dem Internet. Das Ergebnis ist meist humorvoll, verspielt und technisch ausgefeilt. Allerdings haben Mudrys schräge Bild- und Textkombinationen und seine Art kommerzielle Marketingstrategien zu instrumentalisieren stets einen gewissen Biss. Ein Aspekt, der auch für sein Rückwand-Projekt, dem bislang grössten Kunstwerk des Künstlers im öffentlichen Raum, von Bedeutung ist.

Bei "The Future Doesn’t Need Us" collagiert Mudry direkt auf die Wand gemalte Texte und Bilder, unterbrochen von gerahmten Schwarz-Weiss-Drucken. Er versteht seine Rückwand als eine Art Zusammenfassung oder Kartografie seiner aktuellen Interessen und künstlerischen Recherchen und gesteht ein, dass er sich bemüht hat, etwas "nicht allzu leicht Verdauliches" zu schaffen. Aber was haben die Darstellung eines offenen Mundes, eine stilisierte Palme, Filmzitate ("Today is Monday…" nach einem Roy AndersonFilm) und der Titel eines revolutionären Arbeiterklassen-Romans der 1970er-Jahre ("Vogliamo tutto" von Nanni Balestrini) eigentlich miteinander zu tun?

Man benötigt Zeit, um Mudrys disparate Gegenüberstellungen und verschiedenen Ebenen an Informationen, die mit scharfsinnigem Witz entstanden sind, zu entschlüsseln. Diese Tatsache ist für Mudry politisch: "Die zugrundeliegende Botschaft ist für mich eine kritische: ein Kommentar – durchaus subjektiv – darüber, wie unsere Gesellschaften funktionieren, über unser Verhalten und über die Dinge, die wir als Gesellschaften tun, und darüber, was wir aus ökonomischen, politischen oder kulturellen Gründen akzeptieren und unterstützen. Was insgesamt dazu zu führen scheint, dass die Welt aus den Fugen gerät." In einem Klima, das Mudry zufolge "verdummender Vereinfachung den Vorzug gibt, welche uns lehrt, nicht unseren Verstand zu gebrauchen, sondern blindlings der Werbung, der Politik oder den unterschiedlichen Gurus in den sozialen Medien zu folgen". Mudry ist sich bewusst, dass die Fähigkeit, Verbindungen zwischen unterschiedlichen Arten von Informationen herzustellen und sich sachkundig ein eigenes Bild über ein Thema zu machen, einem nicht mitgegeben wird. Aber es gibt Hoffnung. Denn laut Mudry kann kritisches Denken erlernt und praktiziert werden. Und in einer Welt des Überflusses an Informationen, die «mehr oder weniger wahr und mehr oder weniger nützlich sind, ist diese Fähigkeit lebensnotwendig". Das was Mudry schafft, ist weder dialektisch noch illustrativ, sondern versucht zum Nachdenken und zum Ziehen eigener Schlussfolgerungen anzuregen.

Es könnte – wie der Titel andeutet – sein, dass "die Zukunft uns nicht braucht", aber wir vielleicht jemanden wie Mudry brauchen. Denn seine gesamte Arbeitsweise, auf dieser Rückwand manifestiert, stellt den Versuch dar, auf die Welt zu reagieren und uns zu helfen, mit offenen Augen und neugierigem, kritischem Verstand einen Kurs durch unsere Zukunft zu finden. Und wenn wir dabei vielleicht weinen, so wird uns Mudry auch immer wieder ein Lachen entlocken.

Yoan Mudry (geboren 1990) lebt und arbeitet in Genf.

Yoan Mudry - Die Zukunft braucht uns nicht
11. September 2021 bis 15. Mai 2022