Wohn Raum Alpen

Das Interesse an Europas höchstem Gebirge ist ungebrochen. Sei es die romantische Vorstellung der Stadtbewohner von der landwirtschaftlichen Arbeit vor idyllischer Bergkulisse oder die durchgehende Apres-Ski-Party in den einschlägigen Wintersporthochburgen – der Mythos Alpen floriert.

Aber was steckt hinter dieser schwärmerischen Vorstellung einer alpinen "Identität" mit authentischen Bräuchen und traditionellen Riten, dem Leben als Naturbursche und dem Schutzpatron der alpinen Landschaft? Nicht alle Alpenbewohner leben im Heidiland und verdingen sich als Skilehrer. Was ist mit den restlichen 14 Millionen Bevölkerung? Wie leben diese und nehmen ihre Lebensräume und Landschaften war? Um diese Fragestellung dreht sich die gleichnamige Ausstellung von Kunst Meran und die Stiftung der Kammer der Architekten der Provinz Bozen, die im Mai 2010 eröffnet wird.

WohnRaum – ein Thema bei dem jeder Besucher selbst Experte ist, Rezipient und Kommunikator zugleich. Dabei interessieren weniger die spektakulären Einfamilienhäuser, oder das temporäre Wohnen in touristischen Destinationen, sondern die unterschiedlichen nachhaltigen Siedlungsentwicklungen – vom Mehrfamilienhaus bis hin zur Siedlungsstruktur – in der Gesamtheit des Alpenraumes mit seinen länderspezifischen Ansätzen und den Bezügen zum alpinen Kontext.

Dabei war es wichtig, eine möglichst große Bandbreite des Wohnens – vom Mädcheninternat bis zum Alterswohnsitz, vom sozialen Wohnungsbau für Asylbewerber bis hin zur spektakulären Anlage von "Zweitwohnschlitten" vor attraktiver Bergkulisse - abzubilden. Nicht in Form der Erörterung der Frage, auf welche Art und Weise das Wohnen im alpinen Raum funktionieren soll, sondern welche Wohnstätten in den Alpen der letzten 10 Jahre tatsächlich produziert wurden und wie dort nun tatsächlich gewohnt wird.

Die gezeigten Projekte spiegeln einen Querschnitt des Wohnraums dieses Landstrichs im Hinblick auf unterschiedliche Themen- und Fragestellungen wider: so zeigt sich am Beispiel des Wiederaufbaus des ehemals zerstörten Gondo der Umgang mit den äußeren Gegebenheiten wie die extreme topographische Lage und den zum Teil äußerst knappen verfügbaren Siedlungsraum. Oder das Thema der demographischen Entwicklung der Gesellschaft, vom komfortablen Urlaub bis ans Lebensende, bis hin zum betreuten Wohnen von Demenzkranken, deren bauliche Umgebung Teil der Therapie wird. Einerseits die Beobachtung, wie luxuriöse Zweitwohnsitze in gewachsener romantischer Umgebung, wie Pilze aus dem Boden schießen, andererseits gibt es auch Lösungsansätze für low-budget-Bebauungen für Migranten, denen der Start in einem neuen Umfeld ermöglicht wird, zu bemerken und darzustellen.

Die Auswahl der Projekte entstand in einem mehrmonatigen Rechercheprozess, bei dem im gesamten Alpenraum über 200 geeignete Projekte gefunden wurden, die den festgelegten Kriterien (mind. fünf Wohneinheiten, Fertigstellung nach 2000) entsprachen. Ein Gremium von 16 Experten aus dem Bereich Architektur und Landschaft, hat aus der Vielzahl der eingegangenen Projekte eine Vorauswahl getroffen, deren Essenz die hier dokumentierten 37 Projekte sind. Das Resultat erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist eher als ergebnisoffene Momentaufnahme der aktuellen Befindlichkeiten zu interpretieren. So soll sich auch die Ausstellung lesen – weg von der menschenleeren, unbewohnten Architektur mit unverständlichen Erläuterungen, hin zur erkennbaren Belebung durch ihre Bewohner.

Bewusst hat man sich bei der Dokumentation für den Fotografen Hartmut Nägele entschieden, der die erzählerische, eher subjektive Beschreibung von Lebensräumen beherrscht wie kein anderer und der dem Betrachter das Gefühl gibt, einen flüchtigen Moment in diesen Bildern mitzuerleben. Das Sinnbild der Höhenprofile mit seinen fieberkurvenartigen Ausschlägen ist als Assoziation mit dem alpinen Raum fest verbunden und bildet den Dreh- und Angelpunkt der Ausstellungsgestaltung.

Bekannte Muster werden durchbrochen, indem die Beiträge nicht nach Ländern, sondern in ihrer Höhenstaffelung sortiert sind. Die Wanderschaft der dargestellten Projekte wird zum Thema, über die Landschaft, den Siedlungsraum, den Alpenraum als Konglomerat – ein individuelles Erlebnis in der Rezeption und vielleicht die Chance diesen so reichhaltigen und kulturell vielfältigen Alpenraum im spannenden Diskurs der "Wohn-" Unterschiede zwischen den Alpenstaaten und über das touristische Erleben hinaus kennen zu lernen. Dabei erhalten die Worte von Loredana Ponticelli im Rahmen ihres Länderessays Wehlsch Pirg: "Was es wirklich bedeutet, in den Alpen zu leben, weiß nur wer dort wohnt" ein besonderes Gewicht und eine übergeordnete Bedeutung.

Katalog: Zur Ausstellung wird eine umfangreiche Publikation mit Essays u.a. von Miha Dešman, Köbi Gantenbein, Hansjörg Hilti, Wojciech Czaja, Loredana Ponticelli, Christian Schittich und Axel Sowa sowie einer vertiefenden Einführung der Besonderheiten Südtirols beim Birkhäuser Verlag erscheinen.

Wohn Raum Alpen
15. Mai bis 12. September 2010
Eröffnung: Fr 14. Mai 10