Wild Signals

Vom 13. September bis 9. November 2008 zeigt der Württembergische Kunstverein die Ausstellung "Wild Signals. Künstlerische Positionen zwischen Symptom und Analyse". Sie umfasst Arbeiten von elf internationalen KünstlerInnen, die sich auf unterschiedliche Weise wissenschaftliche Methoden zu Eigen gemacht haben.

Historische Dokumente werden einer verschobenen Lesweise unterzogen. Die Instrumentarien und Diskurse der Kriminalistik, Psychoanalyse, Ethnologie, Natur- und Parawissenschaften werden ebenso entliehen wie in Frage gestellt. Mit einer gleichermaßen kritischen wie ironischen Haltung begegnen die KünstlerInnen jener Wahrheitsproduktion, die das Unbekannte und Unbegreifliche in den Griff bekommen möchte und dabei auf der Verleugnung der eigenen Trugschlüsse aufruht.

Der Spekulation und Inszenierung, als Techniken, die dem wissenschaftlichen Denken, seinen Experimenten und Beweisführungen eingeschrieben sind, kommt dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu – nicht zuletzt da sich hier ästhetische und wissenschaftliche Praktiken durchkreuzen. So sind Bühne, Fotografie und Film längst als Instrumentarien des Wissens beschrieben worden, die nicht dem Nachweis von Erkenntnissen dienen, sondern diese erst produzieren und in Szene setzen.

"Wild Signals" zeigt künstlerische Inszenierungen von Wissen – und von Nicht-Wissen –, in denen der Aufführungscharakter offen zu Tage tritt. Erkenntnis erscheint darin in einem offenen Resonanzraum, in dem sich das Faktische und Mögliche, das Interpretierbare und Nicht-Interpretierbare gegenseitig bedingen. Dabei setzt die Ausstellung an zwei künstlerischen Taktiken und deren Überschneidungen an: Der Analyse und der Simulation von Befunden, Indizien und Symptomen.

Kevin Schmidts Videoinstallation "Wild Signals", die der Ausstellung ihren Titel gab, fährt inmitten unberührter Natur eine gleichermaßen spektakuläre wie geisterhafte Konzertbühne auf: als ginge es um die Anrufung des Erhabenen, Unbegreiflichen, das jedoch nicht in Erscheinung treten mag. Gespielt wird eine aus fünf Tönen bestehende Melodie, die in Steven Spielbergs Film "Unheimliche Begegnung der dritten Art" der Kommunikation mit den Außerirdischen diente.

Die Grenzen der Erkenntnis, die die Wissenschaften seit jeher umtreiben, und die Schmidt in seiner Videoarbeit geradezu emblematisch verhandelt, stehen auch im Zentrum der Arbeiten von Joachim Koester und Joshua Mosley. Mosley inszeniert in seiner Videoanimation „dread“ einen Disput zwischen Blaise Pascal und Jean-Jacques Rousseau, der um das Verhältnis von Mensch, Natur und göttlicher Ordnung, um Gewissheit und Ungewissheit kreist. Die Maxime des gottgegebenen Guten in der Natur wird dabei auf die Probe gestellt.

Koesters Foto- und Textarbeit "The Magic Mirror of John Dee" ist einem der bedeutendsten Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts sowie dessen okkultistischen Praktiken gewidmet. Seine Versuche, mit dem Übernatürlichen zu kommunizieren, um darüber das Irdische besser zu begreifen, scheiterten. Zu sehen ist eines der zentralen Werkzeuge seiner Experimente: die Oberfläche eines schwarzen Spiegels, auf dem sich kaum dechiffrierbare Spuren eingeschrieben haben.

Auch Sorel Cohen exponiert in ihrer Fotoserie "Divans Dolorosa" ein Werkzeug der Wissenschaften, eine geradezu archetypische Bühne der Anrufung des Unbewussten. Zu sehen sind die Couchen in den Besprechungszimmern verschiedener Psychoanalytiker. Den menschenleeren Interieurs ist jeweils ein Begriff der Psychoanalyse zugewiesen.

Direkt auf Sigmund Freud referiert Susan Hillers Arbeit "The Curiosities of Sigmund Freud", die eine Reihe winziger Dias aus der Freudschen Kuriositäten-Sammlung in Vergrößerung zeigt. Nur schemenhaft und kaum entzifferbar zeichnen sich die Bildmotive darin ab, während ein weiteres Fundstück eine Fehlleistung des Wissenschaftlers preisgibt. Wie Cohen bringt Hiller den Analytiker selbst als Gegenstand der Analyse ins Spiel, ohne dabei eine schlüssige Interpretation anzubieten.

Voller Mehrdeutigkeiten sind auch Tim Rodas fotografische Inszenierungen theatraler Bildwelten, in denen er mit seiner Familie auftritt und dabei ein Übermaß an Verweisen auf verborgene Wünsche und Kränkungen produziert. Martin Dammanns Fotoserie "Soldier Studies", die als Frauen verkleidete Soldaten des Zweiten Weltkriegs fokussiert, liefert nur auf den ersten Blick den historischen Nachweis eines verborgenen homoerotischen oder transvestitischen Verlangens. Vielmehr zeichnet sich darin eine Fixierung auf die Normalität des biederen Ehelebens sowie die Verdrängung der realen Situation ab.

Pablo Pijnappels Re/Konstruktionen der eigenen Familiengeschichte verschränken Fotografien aus privaten mit Bildern aus öffentlichen Archiven. Erzählt werden gleichermaßen glaubwürdige wie groteske Geschichten über verschiedene Figuren, die sich überkreuzen, widersprechen, und die weder einer chronologischen noch kohärenten Struktur folgen. Die Techniken der Rekonstruktion von Tatorten und -hergängen sind von zahlreichen KünstlerInnen befragt worden. Eine geradezu klassische Arbeit in diesem Kontext ist Charles Gaines Serie "Night Crimes", die nach dem Zufallsprinzip Tatortaufnahmen und Verbrecherporträts verschiedener Fälle in Beziehung zueinander und zu astrologischen Sternenkonstellationen setzt.

Corinne Mae Botz greift in ihrer Fotoserie "The Nutshell Studies of Unexplained Death" die wie Puppenhäuser wirkenden Tatortmodelle von Frances Glessner Lee auf. Diese in den 1940er Jahren für die Ausbildung von Polizeibeamten entwickelten Miniaturmodelle bilden gleichermaßen Konstruktionen wie Rekonstruktionen realer Gewaltverbrechen ab. Im Rahmen ihrer Feldforschung "Der Fall Stammsitz" erfindet Jana Gunstheimer den Tathergang samt seiner Motive und Indizien, die sie mit ihren Zeichnungen, Aquarellen und Installationen belegt, ohne dass sich daraus jedoch eine schlüssige Erzählung ergäbe.


Wild Signals
Künstlerische Positionen zwischen Symptom und Analyse
13. September bis 9. November 2008