Wie das Leben begann - und was daraus wurde

19. August 2017 Bernhard Sandbichler
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Was ist Leben und wie konnte es aus anorganischer Materie entstehen? Und wie geht es mit uns bzw. wie gehen wir mit ihm um? Antworten aus biochemischer, genetischer, medizinischer und neurologischer Sicht.

  • Achse 1: Diagnose
    Chemische Prozesse in basischen hydrothermalen Schloten der jungen Erde führten zwingend dazu, dass erste Zellen entstanden, die Anfänge des Lebens - legt der Biochemiker Nick Lane schlüssig dar. Die Geschichte des Lebens hatte für die einzelligen Organismen, die zuerst die Welt bevölkerten, dann noch weitere sieben große Erfindungen parat: die DNA, die Photosynthese, die komplexe Zelle, Sex, Bewegung, das Sehvermögen, heißes Blut, das Bewusstsein und schließlich den Tod. In jedem Fall waren diese Einzeller erfolgreich, denn sie schufen die Atmosphäre, die Luft, die wir atmen, jene Umwelt, die für uns "natürlich" ist.
     
  • Achse 2: Prognose
    Von Anbeginn des Lebens sind Organismen durch Funktionen gekennzeichnet, die für alle Lebewesen gelten - also auch für jene, die man gern als "höher entwickelt" bezeichnet, mithin solche, die mit Gehirnen ausgestattet sind.
     
  • Achse 3: Entwicklung
    Diese Geschichte umfasst Jahrmilliarden. Wenn wir von einem für uns überschaubaren Zeitrahmen sprechen - zwei, drei Generationen inklusive unserem eigenen Leben - kommt Epigenetisches ins Spiel. Umwelteinflüsse verursachen Änderungen am DNA-Strang beziehungsweise an den Chromosomen, welche die Genaktivität modulieren und mitunter sogar an Nachkommen vererbt werden, erklärt Spork, und Largo ist über die Jahrzehnte zur Erkenntnis gelangt, dass es keine Fähigkeit, kein Verhalten und keine körperliche und psychische Eigenschaft gibt, die bei allen gleich ausgebildet ist: Jeder Mensch ist ein Unikat.
     
  • Achse 4: Intelligenz
    Gesundheit und Persönlichkeit sind nicht genetisches und milieubedingtes Schicksal, resümiert Spork. Lebensformen sind nicht einfach nur reaktive Wesen. Ihr Grundmotiv ist, sich immer dorthin zu bewegen, wo es einem besser geht - ein permanenter Anpassungsprozess, um nach eigenem Ermessen gesund zu sein. Der Mensch, sagt Largo, ist das einzige Lebewesen, das sich und seine Umwelt reflektieren kann. Er wird sich auf seine Grundbedürfnisse - existenzielle Sicherheit, körperliche Integrität, Geborgenheit, Anerkennung des sozialen Status, Selbstentfaltung und Leistung - besinnen und seine Umwelt so gestalten, dass sie ihm entspricht. Dass mit der Reflexionsfähigkeit, so Pöppel, auch die Dummheit in die Welt kam, wen wundert’s?.
     
  • Achse 5: KörperDass bei einfachen Organismen bewährte Evolutionsprozesse in komplizierten auf identische Weise ablaufen, legt den Schluss nahe, dass es Merkmale der physischen Welt sind und nicht Eigenschaften im Organismus selbst. Wir konnten, sagt Pöppel, gar nicht anders konstruiert werden, weil die Welt so ist, wie sie ist.
     
  • Achse 6: PsycheBiologisch messbar ist mittlerweile, dass auch Psychotherapie Genaktivierungsmuster beeinflusst.
     
  • Achse 7: Alltag
    Was wir wissen, sagt Largo: Ein Kind ist darauf angelegt, sein Potenzial zu verwirklichen. Was wir erleben: eine planwirtschaftliche Bildungspolitik, die nicht kindgerechte Ziele durchpeitscht; die Einsamkeit der Alten; und in der Lebenszeit dazwischen das Diktat der Wirtschaft, die den Menschen sagt, was sie zu tun haben. Wer will, dass es ihm besser geht, für den heißt es also wieder einmal: "Sapere aude - Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"
     

Remo Largo: Das passende Leben. Was unsere Individualität ausmacht und wie wir sie leben können, Frankfurt /Main: S. Fischer 2017, 480 Seiten, EUR 24,70

Nick Lane: Der Funke des Lebens. Energie und Evolution. Aus dem Englischen von Monika Niehaus, Martina Wiese und Jorun Wissmann. Darmstadt: Theiss 2017, 382 Seiten, EUR 30,80

Ernst Pöppel, Beatrice Wagner: Dummheit. Warum wir heute die einfachsten Dinge nicht mehr wissen. München: Goldmann 2013, 350 Seiten, EUR 10,30

Peter Spork: Gesundheit ist kein Zufall. Wie das Leben unsere Gene prägt. Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik. München: DVA 2017, 416 Seiten, EUR 23,70