Werk-statt-Meister statt Werkstattmeister?

23. Juni 2010 Rosemarie Schmitt
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Trenne niemals, was zusammengehört! Wie etwa Werkstattmeister, statt Werk, statt Meister? In der Tat, verehrter Herr Brahms, in dieser Angelegenheit wage ich Ihnen zu widersprechen, und zwar ganz entschieden zu widersprechen! Aber, und bitte nehmen Sie es mir nicht übel werter Herr Brahms, daß es heute nicht in der Hauptsache um Sie geht. Weshalb ist Ihnen bloß so sehr daran gelegen, das Leben und das Werk so strikt von seinem Meister zu trennen?

Mein lieber Brahms, wenn da mal nicht was sehr Persönliches dahinter steckt! Sie haben doch nicht etwa eine Leiche statt im Keller, in Ihren Kompositionen versteckt? Ich werde mich an einem anderen Tag eingehender damit beschäftigen müssen, denn heute geht es um den Mann, den Sie so sehr verehrten, und dessen Frau Ihr Herz berührte wie vielleicht keine andere. Verliebtheit? Nein, Verliebtheit war es in beiden Fällen wahrlich nicht, es war sehr viel tiefsinniger, bedeutender und schmerzvoller.

Es war im Jahre 1853. Sie, just zwanzig Lenze jung, Robert Schumann bereits Anfang vierzig, und seine Gattin Clara mit vierunddreißig in der Blüte ihres und auch Ihres Lebens. Nicht wahr Herr Brahms? So lernten Sie die beiden in Düsseldorf kennen, lieben, liebend bewundern und schätzen, den großen Robert Schumann, ein Meister seines Werkes. Und Schumann war auch von Ihnen vom ersten Augenblick an fasziniert und "angetan". In diesem Zusammenhang trifft angetan in seiner Doppeldeutigkeit tragischerweise den richtigen Ton. Schumanns Leben, welchem es zu keiner Zeit an Tragik mangelte, war im Begriff, ihm zu entgleiten.

Noch in dem Jahr dieser Begegnung verfasste Schumann einen Aufsatz über Johannes Brahms mit dem Titel "Neue Bahnen". Bahnen, deren Verlauf sich Schumann sicherlich erfreulich vorstellte. Oder hatte er, es sollten ihm nur noch drei Jahre zu leben bleiben, eine Ahnung? Lange Zeit wusste Robert Schumann nicht, ob er nun ein komponierender Dichter oder ein dichtender Komponist gewesen ist. Aber bedarf es überhaupt einer Trennung? Am Ende war alles Musik! Verzeihen Sie, geschätzter Klaus Funke, daß ich mir diesen Satz bei Ihnen leihe! Es dient dazu, die Leser auf Ihre wunderbare Novelle “Am Ende war alles Musik“ (erschienen 2007 beim dtv) aufmerksam zu machen. Wie Sie wissen, werte Leser, liebe ich es während des Lesens Musik zu hören. Ebenfalls etwas, was ich nicht zu trennen vermag, ist die Literatur und die Musik!

Klaus Funke erzählt in zwei Novellen vom Leben und Sterben von Clara Schumanns Vater, dem bedeutenden Musikpädagogen Friedrich Wieck, von Robert Schumann und Johannes Brahms. Und während ich diese beiden Novellen las hörte ich Robert Schumanns Meisterwerke. In diesem Kontext sei mir gestattet zu sagen, daß der "Funke" sogleich auf mich übersprang. Ich hörte und las von Menschen, deren spannende Leben sich untrennbar und unvorstellbar miteinander verzweigten. Unvermeidbar finden sich ihre Leben, ihre miteinander verwobenen Schicksale in ihren musikalischen Werken wieder, und am Ende war eben alles Musik!

Zum 200. Geburtstag Robert Schumanns präsentiert Sony-Classical eine limitierte Edition mit einer Auswahl wundervoller Musik des großen Komponisten auf 25 CDs; und das für um die vierzig Euro! Was nichts kostet ist Nichts? Von wegen! Sind etwa so herausragende Künstler wie Evgeny Kissin, Arcadi Volodos, Arthur Rubinstein, Vladimir Horowitz, James Levine, Nikolaus Harnoncourt, Christoph Eschenbach sowie die Deutsche Kammerphilharmonie, der Chor und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Wiener Symphoniker, Christian Gerhaher, Nathalie Stutzmann, das Trio Opus 8, Ensemble Incanto, sind die alle etwa Nichts?

Ich las und hörte. Und Schumanns Leben, seine glücklichen und schweren Stunden, sein Übermut und seine Verzweiflung zogen an mir vorbei wie ein Film. Und da behaupten Sie, verehrter Brahms, das Leben und das Werk eines Künstlers seien streng zu trennen? Niemals, sage ich! Niemals! Und schon gar nicht bei Robert Schumann! Es ist, als habe ich sein Tagebuch gehört! Ein Tagebuch nicht aus Worten, sondern aus Noten. Und aus was für welchen! Besonders in diesem Jahr werden viele Schumann-Werke angeboten, und ich gebe zu, daß ich sie nicht alle hörte, doch diese Meisterwerke von Sony-Classical sind für mich das gefundene Fressen und ein äußerst schmackhaftes noch dazu! Eine Auswahl an Schumann-Werken, die man haben und kennen sollte!

Und mit Schumann, werte Leser, bin ich noch lange nicht fertig! In der kommenden Woche stelle ich Ihnen eine Aufnahme vor, die man nicht haben und kennen sollte, sondern muß! Sie glauben, alle Werke aus der Werkstatt des Meisters Robert Schumann zu kennen? Na, da täuschen Sie sich aber ganz gewaltig! Wetten?

Bis dahin hören Sie das Tagebuch seines Lebens!
Haben Sie viel Freude damit und trennen Sie niemals was zusammengehört!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt