Weltverkehrt

Als "Die Linke" ein Geburtstagsgratulationstelegramm an den Maximo Leader Fidel Castro sandte, rührte sich in Deutschland Empörung und Häme, so dass die Partei schließlich selbst klein beigab und die Grüße runterspielte. Für den deutschen Volksgeist war das Unterfangen ein Affront, eine Beleidigung der freiheitsliebenden Rechtschaffenen, da Fidel Castro ein Diktator ist. Ein Undemokrat, ein Monstrum.

Ist er das? Teilweise. Aber man sollte die Relationen genauer ansehen, von ihm und seinem Land. Die "Kontextfaktoren", vor allem die lange, stete, amerikanische Blockadepolitik gegen den Störenfried und Fremdkörper vor Amerikas Haustüre. Kein Staat kann sich unter solchen Bedingungen entwickeln, wie er es vorhat, ganz gleich, welches Programm er verfolgt. Dass von den Demokraten so getan wird, als ob das Leitland des Westens eine Demokratie sei, ist skandalös. Und wenn wir von Personen sprechen, gehen auf das Konto des Schwätzers und Versagers Obama mehr Untaten, die er als Chef der intensivsten kriegsführenden Nation befiehlt, verwaltet oder "duldet", mehr Verbrechen und Tote, als Castro in all seinen Jahren zu verantworten hätte. Aber Obama erhielt zu seinem Amtsantritt, sozusagen in Übung eines vorauseilenden Gehorsams, den Friedensnobelpreis (2009). Das war offensichtlich ganz im Geiste der Freiheitsliebenden, der rechtschaffenen Demokraten.

Natürlich ist Kritik an Castro und seinem Regime angebracht. Aber an welchem Staat nicht, an welchem Staatsmann nicht? Nur eine schiefe Optik, eine ideologisch extrem getrübte Sicht verbeißt sich an Castro - und den Linken, die ihn grüßten. Sie sind so schwach, dass sie zurückruderten. (Dass sie den Mauerbau verteidigten, ist eine andere Sache. Aber das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun!)

Deutschland engagiert sich in ausländischen Kriegseinsätzen. Der damalige grüne Außenminister Fischer hat schnell gelernt, was Realpolitik ist. Was Linientreue. Was die Konsequenzen wären, pochte er auf Ethik und Moral und Grundgesetz. Die Realpolitik ist nicht unähnlich jener unter Breschnjews USSR und ihren Einforderungen an die damaligen Satelliten. Im Westen wird das nur anders betitelt und interpretiert (Teil der semantischen Politik). Fischer war ein Realo, wie man diese Spezies von Realpolitikern nennt. Er tat seinen Job.

Westerwelle wäre gern einer. Aber in der Zwischenzeit regiert eine schwache Koalition. Und die Regierung meinte es nicht vertreten zu können, nach den folgenschweren "Abenteuern" in Afghanistan, wo deutsche Soldaten Deutschland verteidigen in Erfüllung ihrer Dankbarkeit gegen den Großen Bruder und dem Erbringen des Beweises unerschüttlicher Bündnistreue sowie europäischer Reife, an einem neuen Kriegsschauplatz in Libyern aktiv teilzunehmen.

Anstatt diese Haltung zu stärken und für ein grundlegendes Überdenken der Abhängigkeiten des doch souverän sein sollenden Staates einzutreten, wurde eine schwache, feige, ausweichende Politik betrieben. Plötzlich urgierten Pragmatiker wie der Altkanzler Schmidt Krieg und Bomben und Bündnistreue und Verlässlichkeit. Plötzlich schimpften viele, auch im Ausland, die immer vor Deutschlands Militarismus warnten, vor deren Zurückstehen. Eigenständigkeit in der Außenpolitik ist ein Tabu, besonders in Deutschland. Wenn die Amerikaner, Franzosen und Engländer Krieg wollen und machen, MUSS Deutschland mitmachen, sonst steht es als Drückeberger, als Versager da. Ein Land mit beschädigtem Selbstbewusstsein, einem instrumentalisierten Minderwertigkeitskomplex, kann da leicht ins Schleudern kommen. Also werden fadenscheinige Begründungen gesucht, wird entschuldigt und belobigt. Westerwelle gibt den willkommenen Sündenbock. Dennoch sei der Ruf Deutschlands als Kriegspartner beschädigt, heißt es jammernd. Was mag da noch auf uns zukommen?

Man reibt sich die Augen. Anstatt dass andere europäische Staaten Deutschland unterstützen, wenn es mal ausschert, wird losgehackt. SPDler, CDUler, CSUler, Freie Demokraten, Grüne sehen die Außenpolitik, wenn sie nicht im Kriegsgezeter und Kriegen mitwirkt, gefährdet und verraten. Nur die Linken waren, aus anderen Gründen, gegen den Libyeneinsatz. Jetzt, hintennach, sind alle dafür oder wollen dafür gewesen sein. Eine verlogene Politik.

Niemand scheint nach den Gründen für den "Befreiungseinsatz", die "Friedensmission", zu fragen. Der Sturz des Ghadhafi-Regimes, das bis vor kurzem als Verbündeter im Kampf gegen den Terror wieder Anerkenntnis erlangt hatte, das tatkräftig mithalf in diesem "weltweiten" Kampf, ist plötzlich zum Feind der "freien Welt" geworden. Man überließ es nicht den Libyern, wie und ob sie Änderungen erreichen oder nicht, sondern intervenierte.

Mit der dieser Intervention zugrunde liegenden Filosofie müsste die "freie Welt" allerdings als Weltpolizist permanent überall Kriege führen, in Syrien, in Israel (das doch die "einzige Demokratie" in Nahost ist und engster Verbündeter der USA), im Iran, in Myanmar, in Pakistan (auch so ein Verbündeter), in Nordkorea (ein "Schurkenstaat") in China (größter Gläubiger der USA, Zukunftsmarkt der "freien Welt").

All das ist offensichtlich. Ist verlogen. Kalkuliert. Realpolitik eben. Aber in Deutschland, und auch bei uns, tut man so, als ob die westliche Realpolitik die einzig mögliche, vernünftige, gutzuheißende wäre. Das nenne ich Kollaboration, auch wenn es triftige Gründe dafür geben mag (siehe Hinweise auf Abhängigkeiten etc.).