Was will der Gast?

5. Dezember 2011 Kurt Bracharz
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Die Frage von Sigmund Freud hieß ja eigentlich: Was will das Weib? Da aber die Hälfte der Restaurantbesucher männlich ist, stellen wir unsere Frage anders, nämlich neutral: Was will der Gast? Für den Einzelfall ist sie durchaus zu beantworten, fast jedes Individuum, das ein Lokal betritt, hat ziemlich klare Vorstellungen von dem, was es möchte – und sei es auch nur: bald wieder gehen. Die einzelnen Gäste wissen, was sie wollen, aber jeder will etwas anderes, und alle sind unmöglich unter einen Hut zu bringen.

Gehen wir die Sache anders herum an: Es ist einfacher zu sagen, was der Gast bestimmt nicht möchte. Er möchte nicht, daß ihm die Speisekarte mit der Frage, was er trinken wolle, überreicht wird. Wenn ihm nicht eh alles wurscht ist, wird er sie zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten können.

Er möchte nicht, daß auf der Karte "Süppchen" statt "Suppe" und "Sülzchen" statt "Sülze" steht, weil er die Kinderzeit hinter sich gelassen und die zweite Kindheit noch vor sich hat und weil er nach dem Essen kein Bäuerchen machen muss.

Er möchte nicht Ankündigungen des "Dialogs zwischen der Blutwurst und dem Weinkraut" lesen, weil es ihm nichts bedeutet, was die Blunzen dem Gemüse zu sagen haben könnte.

Er möchte nicht, daß die Weinberatung mit der Frage "Soll es ein roter oder ein weißer sein?" eingeleitet wird. Es gibt zwar Fälle, wo diese Alternative möglich ist, bei allen anderen wird er aber das Gefühl haben, da versteht er ja selbst noch mehr von der Sache.

Er möchte nicht nachträglich draufkommen, dass der empfohlene Wein der teuerste auf der Karte ist, und dass das die wichtigste Eigenschaft war, die ihm der Sommelier bei der Aufzählung verschwiegen hat.

Er möchte nicht, daß die Flasche irgendwo weit abseits platziert wird, so dass er sich nicht selbst nachschenken kann, wenn sein Stoffwechsel augenblicklichen Alkoholnachschub fordert. Andererseits möchte er auch nicht das Gefühl haben, ständig beobachtet zu werden. Es gibt Brigaden, bei denen man das Gefühl hat, sie lauerten im Hintergrund darauf, einem augenblicklich den Teller wegzuziehen, sobald man den letzten Krümel in den Mund gesteckt hat.

Er möchte nicht, daß die Portionen zu groß sind. Nach längst vergangenen Jahren der Haute cuisine, bei der man nach dem achtgängigen Diner an den Würstelstand etwas "Richtiges" essen ging, greift jetzt wieder die Unsitte viel zu großer Portionen um sich. Es mag ja Leute geben, die sich nur gut bedient vorkommen, wenn sie nicht alles aufessen können, aber Sinn hat das keinen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht bloß bei zu kleinen Portionen nicht, sondern auch dann, wenn man mehr bezahlen muß, als man essen kann oder mag.

Er möchte nicht bei jedem einzelnen Gang ausführlich und im schlimmsten Fall von mehreren Servicepersonen befragt werden, wie es ihm schmeckt. Es gibt sogar Beflissene, die das Tischgespräch unterbrechen, um diese Frage anzubringen.

Er möchte nicht extra bezahlen, was eigentlich im Preis eingeschlossen sein sollte. Er findet es seltsam, wenn in einem Wiener 100-Euro-Menü der Espresso nicht inkludiert ist, und belustigend, wenn in einem Zürcher Restaurant zum Wodka um 10 Franken extra ein Mineralwasserzuschlag von dreieinhalb Franken berappt werden muss.

Aber zurück von so speziellen Beispielen zum gewöhnlichen Gast: Er möchte bei der Rechnung nicht das Gefühl haben, er hätte vorher einen Kredit aufnehmen sollen. Er möchte nicht am nächsten Tag feststellen, daß er statt dem finanzamtfähigen Beleg eine Zwischenrechnung bekommen hat, auf der die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen ist. Wenn er am nächsten Tag damit reklamieren kommt, möchte er nicht hören, da hätte er halt selber besser aufpassen müssen.

Wenn das alles in Ordnung geht, dann sehen wir uns nur noch mit dem kleineren Problem konfrontiert: dass jeder Gast etwas anderes möchte als das, was gerade heute auf der Karte steht. Aber da sitzen Wirt, Koch und Service doch am längeren Hebel.