Was macht Raum

Auch wenn zur Eröffnung außen rundherum die Highlights (Anish Kapoor, Anselm Kiefer, Marlene Dumas) eingehendst angeschaut und kunstbeseelt vollständig zufrieden, zum Finale der 59. Biennale Arte reiste ich doch noch einmal nach Venedig und startete – wettervorhersagebedingt – in den Giardini, diesmal mit dem spanischen Pavillon.

Ehrfürchtig-andächtige Stimmung. Raum. Noch nie bemerkt, die abblätternd-weiß-lackierte Holzkonstruktion des verglasten Satteldachs. Der Boden, geschliffener Beton, ein grau-schattiertes Gemälde gibt sich preis. Immer schon? Nachzuvollziehen, dass hier der Raum im Raum verschoben wurde, nachzulesen an der Wand im Entree: Es sind zehn Grad, um die der Pavillon innen gedreht wurde, als Angleichung zur Nachbarschaft. Es handelt sich um eine Richtigstellung, denn belgischer und holländischer Pavillon halten dieselbe Baufluchtlinie ein und der spanische steht dazu schief. Angenommen, dieser Standort wäre eine Anomalie, was wird durch die Korrektur sichtbar? Die Intervention unterbricht das räumliche Gedächtnis und verändert Ausstellungsraum, Beziehungen sowie Bedeutsamkeiten. Nur im Inneren spürt man den vergeudeten Raum, der außen durch die Lage zum Nachbarpavillon entsteht. Sehr beeindruckend!

Was macht den Raum aus, was der Raum mit den Menschen? Und was machen Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl mit dem österreichischen Pavillon? Sie konzentrieren sich auf seine symmetrische Architektur, die durch die Kolonnade sowohl geteilt als auch verbunden ist, tiefergelegt die zwei Haupträume. Die beiden Abschnitte werden zum jeweiligen begehbaren Selbstportrait der Künstler, zu einer dynamischen Gegenüberstellung von zwei paradox anmutenden Räumlichkeiten. Diese Begehrensräume konterkarieren konventionelle Vorstellungen musealer Präsentationen und unterlaufen die Hierarchien von Kunst und Design, sie werden zur Theaterbühne, auf der Besucherinnen zu Protagonistinnen des manieristischen Stücks werden. Wer den Raum verlässt hat tatsächlich Eigenartiges erlebt.

Im französischen Pavillon setze ich mich vorerst an eines der Tischchen entlang des Tanzbodens und beobachte die Leute. Tangomusik. Ein dunkel gebeizter Bartresen dominiert den Raum. In der Ecke ein Sofa, aufgebaut als Filmsetting, einladend für Selfies, parallel läuft die Szene schon am Bildschirm. Gute Laune, ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Dieses Ambiente versetzt die Eintretenden unmittelbar ins Lebensgefühl der 1960er/70er Jahre. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen persönlicher und kollektiver Erinnerung verwischen. Ich komme mit der aparten älteren Dame ins Gespräch, Französin. Wir sind uns einig: es ist der Raum mit den gezielt eingesetzten, assoziationsschürenden Möbelstücken, Details, der Musik, was jede von uns zu einer Anderen werden lässt – zur viel Entspannteren, zur Träumenden. Vom guten Leben.

59. Biennale Arte 2022 in Venedig "The Milk of Dreams"
Pavillons in den Giardini

Spanien
Commissioners: Ministerio de Asuntos Exteriores, Unión Europea y Cooperación de España. AECID Agencia Española de Cooperación Internacional para el Desarrollo
Curator: Beatriz Espejo
Exhibitor: Ignasi Aballí

Österreich
Commissioner: The Arts and Culture Division of the Federal Ministry for Arts, Culture, the Civil Service and Sport
Curator: Karola Kraus
Exhibitors: Jakob Lena Knebl and Ashley Hans Scheirl

Frankreich
Commissioner: Institut Francais
Curators: Yasmina Reggad, Sam Bardaouil and Till Fellrath
Exhibitor: Zineb Sedira