Warum eigentlich bringt derzeit beinahe jede Zeitung fast jeden Tag etwas über die angeblich vor der Tür stehende Vogelgrippe-Pandemie? Die Frage meine ich nicht rhetorisch, denn ich kenne die Antwort nicht.
Das Problem existiert tatsächlich. Die H5N1 Vogelgrippe ist 1997 erstmals in Hongkong aufgetreten und hat seither Millionen Vögel, vor allem Haushühner, getötet. Die Zahl der bekannt gewordenen menschlichen Opfer beträgt 59, was nicht einmal nach »Epidemie« klingt, aber es geht um die Übertragbarkeit der Vogelkrankheit auf Säugetiere, die der Erreger vermutlich beim Zwischenstopp in Hausschweinen erlangt.
Die Gefahr einer Pandemie entsteht, wenn das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar wird. Immun wäre niemand, weil der H5-Subtypus bisher nie unter Menschen aufgetreten ist. (H5 ist eines der acht Gene des Grippevirus, die leicht zerfallen und sich mit fremdem Genmaterial rekombinieren.) Von H5N1-infizierten Hühnern sterben 100 Prozent, beim Menschen kann man über die Mortalitätsrate bei einem modifizierten Virus keine reellen Aussagen machen. An der Spanischen Grippe (die nicht aus Spanien kam) starben 1918 mindestens 50 Millionen, aber wohl eher 100 Millionen Menschen. Die erste Zahl bezieht sich auf USA und Europa, im revolutionären Russland und in der Dritten Welt (auf Westsamoa starb ein Fünftel der Bevölkerung, bei den Inuit komplette Siedlungen) wurde gar nicht gezählt.
Wie gesagt, ist die H5N1-Gefahr seit 1997 virulent, aber 2005 auch nicht mehr als zuvor. Viele westlichen Regierungen würde gerne das Grippemittel Tamiflu horten, das vorbeugend wirkt und bis zur Entwicklung eines Impfstoffs helfen soll. Aber der Erzeuger, der Basler Pharmakonzern Roche, hat nicht genügend Vorräte, kann erst ein bis zwei Jahre nach Bestellungseingang liefern und will natürlich nicht auf sein Produktionsmonopol (dank einziger Lizenz des Patentinhabers Gilead) verzichten, was von asiatischen Staaten gefordert wurde. Aber ein bisschen Tamiflu will Roche der WHO sogar schenken.