Wandelbar und unnahbar: Jeanne Moreau

Jeanne Moreau war einer der großen Stars des europäischen Kinos der 1950er und 1960er Jahren. Sie spielte in Filmen der großen Regisseure dieser Zeit von Antonioni über Bunuel und Losey bis zu Orson Welles, vor allem aber von Louis Malle und Francois Truffaut. Das Filmpodium Zürich und das Kinok St. Gallen widmen der am 31. Juli 2017 im Alter von 89 Jahren verstorbenen französischen Schauspielerin eine Retrospektive.

Als Jeanne Moreau 1957 mit Louis Malles Debüt "Ascenseur pour l´échafaud" ("Fahrstuhl zum Schafott") der Durchbruch gelang, war sie schon knapp 30, hatte seit 1948 in mehreren Filmen kleine Rollen gespielt und am Theater Erfolge gefeiert. Doch mit der Rolle der Florence, die zur Musik von Miles Davis über die nächtliche Champs-Elysées irrt und auf ihren Liebhaber wartet, den sie anstiftete, ihren Ehemann zu ermorden, wurde die am 23. Januar 1928 in Paris als Tochter einer britischen Tänzerin und eines französischen Restaurantbesitzers geborene Schauspielerin über Nacht zum Star.

Nie galt sie als große Schönheit. Ihre Oberlippe wurde als zu kurz beschrieben, ihre Mundwinkel hingen herab, ihr Blick war meist ernst. Vielleicht waren es aber nicht zuletzt diese Makel, die ihr ermöglichten ihren Charakteren eine unnahbare Aura, Rätselhaftigkeit und Vielschichtigkeit zu verleihen.

Immer wieder spielte sie folglich auch zwiespältige Charaktere. So verlässt sie in Louis Malles "Les amants" (1958) zum Entsetzen des Publikums für ihren Liebhaber sogar ihre kleine Tochter oder changiert in Francois Truffauts "Jules et Jim" (1961) – ihrem wohl berühmtesten Film – zwischen Oscar Werner und Henri Serre.

Ambivalent ist auch ihre Rolle in Truffauts "La mariée était en noir" ("Die Braut trug schwarz", 1968), in dem sie eine Witwe spielt, die eiskalt der Reihe nach die fünf Männer ermordet, die durch leichtfertiges Spiel mit einem Jagdgewehr ihren Mann töteten.

In Luis Bunuels "Le journal d´une femme de chambre" ("Tagebuch einer Kammerzofe", 1964), war sie wiederum das Dienstmädchen, das sich zwar unterwürfig gibt, aber durchaus die Chancen eines Aufstiegs in einer moralisch verfallenen bürgerlichen Welt zu nutzen weiß. Auch Bunuel selbst fühlte sich von ihrem Auftreten beunruhigt: "Wenn sie geht, zittert ihr Fuß leicht auf dem Absatz des Schuhs, ein Mangel an Stabilität, der beunruhigt."

Gibt sie sich sonst oft reserviert und undurchschaubar, so konnte sie sich in Louis Malles Westernkomödie "Viva Maria!" (1965), in der sie als Tingeltangel-Sängerin zusammen mit einer von Brigitte Bardot gespielten Revolutionärin in einem Zirkuswagen durch ein fiktives mittelamerikanisches Land zieht, richtig austoben.

Beherrscht und kühl agiert sie dagegen in Michelangelo Antonionis "La notte" (1961) als Ehefrau, die sich von ihrem Mann schon lange entfremdet hat und ihm nichts mehr zu sagen hat, während sie in Joseph Loseys "Eva" (1962) als geheimnisvolle Unbekannte brilliert, der ein Schriftsteller völlig verfällt.

Orson Welles wiederum hat Jeanne Moreau nicht nur für seinen "Falstaff" (1965) geholt, sondern die Französin auch in seiner Adaption von Kafkas "Der Prozess" (1962), in "Une histoire immortelle" ("Stunde der Wahrheit", 1968) und dem nie vollendeten "The Deep" (1970) besetzt.

Ihre großen Zeiten waren die 1950er Und 1960er Jahre, doch auch die Regisseure des Neuen Deutschen Films waren sichtlich von diesem Star fasziniert. Rainer Werner Fassbinder gar ihr die einzige Frauenrolle in dem Schwulendrama "Querelle" (1982), Wim Wenders holte sie für sein Mammutprojekt "Bis ans Ende der Welt" (1991). Wie eine Reminiszenz an "La notte" wirkt schließlich, wenn sie in Theo Angelopoulos" "Le pas suspendu de la cigogne" ("Der schwebende Schritt des Storches", 1991) nochmals an der Seite von Marcello Mastroianni spielt.

Francois Ozon vergaß sie zwar bei seiner großen Parade mehrerer Generationen französischer Schauspielerinnen in "8 Femmes" (2001), holte das aber mit "Le temps qui reste" ("Die Zeit, die bleibt", 2005) nach, in der Moreau mit von Falten zerfurchtem Gesicht die Großmutter des todkranken Protagonisten spielt.

Glanz verlieh sie auch Ilmar Raags "Une Estonienne à Paris" ("Eine Dame in Paris", 2012), in dem sie als alte, seit Jahrzehnten in Paris lebende Estin brilliert, um die sich eine ebenfalls estnische Pflegerin kümmern soll. Noch einmal gibt sich diese Grande Dame des französischen Kinos in diesem, ihrem letzten Leinwandauftritt unnahbar und schroff, bis sie sich der von Laine Mägi ebenfalls stark gespielten Pflegerin doch öffnet und sich die beiden Frauen näher kommen.