Ein einzigartiger Fund hat neue Einblicke in die Bestattungsrituale des Mittelalters im westlichen Europa zu Tage gebracht. Forscher:innen konnten nun zum ersten Mal bioarchäologische Beweise für die familiäre Einbalsamierung von Säuglingen und Erwachsenen im Frankreich der Frühen Neuzeit nachweisen.
Lange Zeit wurden Einbalsamierungspraktiken als exotische Rituale angesehen, die vor allem mit dem alten Ägypten oder südamerikanischen Kulturen in Verbindung gebracht wurden. Dass diese Techniken auch in Europa angewandt wurden, belegen neue Funde aus dem Château des Milandes in Castelnaud-la-Chapelle, Dordogne, Frankreich.
Die Überreste von sieben Erwachsenen und fünf Kindern, die in einer Krypta entdeckt wurden, sowie die einer einzeln bestatteten Frau, alle Mitglieder der aristokratischen Familie Caumont, die einbalsamiert worden waren, liefern den Forscher:innen des Österreichischen Archäologischen Instituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) wertvolle Informationen über die Einbalsamierungspraktiken im 16. und 17. Jahrhundert.
"Diese Funde ermöglichen einzigartige Einblicke in die Techniken der Einbalsamierung", sagt Caroline Partiot vom Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW. "Unsere Untersuchungen an einem vollständigen Individuum und an fast 2.000 Fragmenten zeigen eine sorgfältige und hoch standardisierte technische Behandlung der Verstorbenen, die bei Erwachsenen und Kindern ähnlich ist. Das deutet auf ein über zwei Jahrhunderte tradiertes Know-how hin", sagt Partiot.
Die Forscher:innen konnten anhand der Schnittspuren am gesamten Skelett der Individuen in der Krypta und des einzeln bestatteten Frauenkörpers den Modus Operandi der Einbalsamierung untersuchen. Besonders auffallend ist die Präzision, mit der der gesamte Körper enthäutet wurde. Dabei wurden sowohl die oberen als auch die unteren Gliedmaßen bis hin zu den Fingerspitzen und Zehen entfernt.
Diese Methoden ähneln denen, die 1708 von Pierre Dionis, dem damals bedeutendsten französischen Chirurgen, beschrieben wurden. Wie die Forschung heute weiß, wurde diese Methode bei einer Autopsie aus dem 18. Jahrhundert in Marseille angewandt. "Bemerkenswert ist, dass sich diese Tradition über mindestens zwei Jahrhunderte erhalten hat", erklärt die Archäologin.
Die Entdeckung der Gruft und die Analyse der Skelette zeigen: Diese Praxis war eine tief verwurzelte Tradition innerhalb der Familie Caumont, die damals einen hohen sozialen Status genoss. Partiot: "Die Behandlung deutet darauf hin, dass die Einbalsamierung weniger der langfristigen Konservierung diente als vielmehr der Zurschaustellung des Leichnams während der Trauerzeremonien.
In der Tat sind mehrere Einbalsamierungen in ein und derselben Familie selten, und der einzige bekannte Fall im mittelalterlichen Westeuropa, in dem mehrere Einbalsamierungen in ein und derselben Familie mit Kindern stattfanden, ist die Familie Medici in Italien im 15. Jahrhundert. „Die Anwendung auf Familienmitglieder, unabhängig von Sterbealter und Geschlecht, spiegelt auch den Erwerb dieses Status durch Geburt wider“, betont Partiot.