Das Museum der Moderne Salzburg präsentiert unter dem Titel "Slice of Life. Von Beckmann bis Jungwirth" eine Ausstellung mit Werken, die als Reaktion auf innere und äußere Ausnahmesituationen entstanden sind.
Kunst kann in herausfordernden Zeiten als Zufluchtsort dienen. Statt einer passiven Hinnahme entsteht eine künstlerische Auseinandersetzung, die Perspektiven öffnet und Veränderung sowie einen hoffnungsvolleren Blick in die Zukunft ermöglicht.
Die in der Ausstellung präsentierten Gemälde, Grafiken, Fotografien und Objekte reflektieren die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zur Zeit ihrer Entstehung.
So ging besonders mit dem NS-Regime für viele Künstler:innen eine existenzielle Bedrohung einher: Die Zwangsmitgliedschaft in der Reichskulturkammer etwa legte fest, wer als Künstler:in tätig sein durfte – jene, die als "entartet" galten oder jüdischer Herkunft waren, wurden ausgeschlossen, entrechtet oder verfolgt. Kulturelle Netzwerke wurden zerstört und viele sahen sich dadurch gezwungen, ins Exil zu gehen – eine Erfahrung, die ihr Schaffen nachhaltig veränderte. In ihren Arbeiten reflektierten sie das Zurücklassen von Heimat und Identität, das Fremdsein, aber auch die Hoffnung auf einen Neuanfang.
Einige in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen behandeln in ihren Arbeiten auch ihre eigenen, oft leidvollen Erfahrungen mit gesellschaftlichen Normen und der männlichen Übermacht. Sie spiegeln den Kampf um Sichtbarkeit in einem männerdominierten Kunstbetrieb wider und hinterfragen bestehende Rollenbilder und Machtverhältnisse – sei es durch Provokation, Ironie oder abstrakte Bildsprachen.
Neben äußeren Umbrüchen spielen auch persönliche Krisen eine zentrale Rolle im Werk vieler Künstler:innen. Psychische Erkrankungen, obsessive Beziehungen oder Verlusterfahrungen hinterließen tiefe Spuren und fanden Ausdruck in der Kunst – als Ventil zur psychischen Entlastung oder als Versuch, die erlittenen seelischen Verletzungen besser verarbeiten zu können.
Max Beckmann etwa wurde als freiwilliger Sanitäter mit den Schrecken des Ersten Weltkrieges konfrontiert und erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch. In der Folge brannte er darauf, "die unsagbaren Dinge des Lebens festzuhalten […] und in glasklare scharfe Linien und Flächen einzusperren, niederzudrücken, zu erwürgen." Inmitten der Nachkriegszeit schuf er sein aus vier Zyklen bestehendes druckgrafisches Hauptwerk, darunter "Der Jahrmarkt" (1921, publ. 1922). Sowohl der Zirkus als auch der Jahrmarkt galten dem Künstler als Sinnbilder des Lebens: In der Maskerade offenbart sich das gesellschaftliche Rollenspiel.
Ernst Ludwig Kirchner, der sich 1915 freiwillig als Fahrer zur Artillerie meldete, erlitt ebenfalls einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch. Zur Behandlung kam er in ein Sanatorium in Königstein im Taunus und wandte sich in dieser Zeit wieder stärker der Landschaftsmalerei zu und schuf unter anderem das Werk "Landschaft".
Lyonel Feininger, der Meister am Bauhaus in Weimar war, musste 1937 gemeinsam mit seiner jüdischen Frau in die USA emigrieren. Beide konnten sich nur schwer an die neue Heimat gewöhnen, wobei Feiningers Faszination für die Wolkenkratzer ihn dazu veranlasste, wieder zu malen. In dieser Zeit entstand unter anderem das Werk "New York Buildings".
Wilhelm Thöny verbrachte gemeinsam mit seiner jüdischen Ehefrau die Spätsommer im südfranzösischen Küstenort Sanary-sur-Mer, wo sich 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine große Exilgemeinde gründete. Hier, im "Paradies der Farben", malte er viel in freier Natur. "Paris Gambetta" entstand, wenige Monate bevor die Thönys aufgrund der politischen Lage nach New York aufbrechen mussten. Das Gemälde spielt auf ein historisches Ereignis an: Der französische Staatsmann Léon Gambetta floh 1870 mit einem Heißluftballon aus dem von deutschen Truppen belagerten Paris, um den Widerstand gegen die Besatzer zu organisieren.
Max Oppenheimer musste die Diffamierung seiner Werke durch die Nationalsozialisten miterleben und sah sich kurz vor dem "Anschluss" Österreichs gezwungen, in die Schweiz, dann in die USA zu emigrieren. Obwohl er gleich nach seiner Ankunft einige Porträtaufträge erhielt, blieb der Erfolg aus. Der Künstler, der Ideen der Kubisten und Futuristen in sein Werk integrierte, vermisste das inspirierende kulturelle Klima der 1920er-Jahre. Erst in seinen letzten Lebensjahren begann er, sich mit dem abstrakten Expressionismus auseinanderzusetzen.
Die jüdische Modefotografin Madame d’Ora überlebte das NS-Regime versteckt in einem französischen Bergdorf, während ihre Schwester in einem Vernichtungslager umkam. Nach diesen traumatischen Erfahrungen machte sie sich auf die Suche nach neuen Themen und begann, inmitten von Pariser Schlachthöfen zu fotografieren. Das Leiden der wehrlosen Schlachttiere verglich sie mit dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung.
Rudolf Schönwald überlebte die NS-Herrschaft in Budapest und kehrte im Anschluss zurück nach Wien, wo er sein Kunststudium begann. Aufgrund seiner politischen Einstellung – er stand dem Kommunismus nahe – und seiner Kunstauffassung fand er sich in einer Außenseiterposition wieder. Obwohl die abstrakte Kunst vor dem Hintergrund des Kalten Krieges mit Freiheit und Fortschritt gleichgesetzt wurde, blieb der Künstler zeit seines Lebens der realistischen Bildsprache treu.
Die Inhaftierung in Konzentrationslagern hinterließen in Zbyněk Sekals Leben und auch in seinen Werken tiefe Narben. Er emigrierte nach der Niederschlagung des Prager Frühlings nach Wien und beschäftigte sich dort mit seinen Materialbildern – Kompositionen aus gefundenen Materialien wie Holz, Eisen und Draht. Damit schuf er Sinnbilder für die Fragilität des Lebens und dem Streben nach Freiheit.
Else Lasker-Schüler thematisierte in ihrer Darstellung des Prinzen Jussuf ihr eigenes Fremdsein als Jüdin in Deutschland. Sein Schicksal steht sinnbildlich für das Leben der Juden in der Diaspora fern vom Land Palästina. Die Figur basiert auf der Josephslegende, die sowohl im Alten Testament als auch im Koran überliefert wird: Joseph, der Lieblingssohn Jakobs, wird von seinen Brüdern aus Neid an eine ägyptische Karawane verkauft und verbringt viele Jahre am Hof des Pharaos. Lasker-Schüler nutzte ihn als Projektionsfläche für ihre eigenen Fantasien und Ängste.
Friedensreich Hundertwasser überlebte den NS-Terror versteckt in einer Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Bereits während seiner Pariser Jahre von 1950 bis 1953 experimentierte er mit nachhaltigen Arbeits- und Lebensformen und vertiefte sich auf der Suche nach neuen Denkansätzen in fernöstliche Philosophien. Früh warnte er in der fortschrittsgläubigen Zeit des Wiederaufbaus nach dem Krieg vor der hemmungslosen Industrialisierung, rücksichtslosen Verstädterung und dem Raubbau an der Natur.
Die mangelnde Aufarbeitung der NS-Zeit führte schon bald nach dem Krieg zur Verleugnung einer Mittäterschaft. Eine junge Künstler:innengeneration begehrte dagegen auf, sie wollte wachrütteln, wenn nötig mit Tabubrüchen. So forderte auch Adolf Frohner eine radikale Neuorientierung. Er experimentierte mit weggeworfenem, "geschundenem" Material. Die Brisanz seiner Herangehensweise wird deutlich, wenn man die auf der strikten Trennung von "rein" und "schmutzig" aufgebaute NS-Ideologie heranzieht – gipfelnd in der Shoah, der Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen.
Die Zeit zwischen 1950 und 1952 war auch für Arnulf Rainer sehr kräftezehrend: Er experimentierte viel und positionierte sich gerne öffentlich, provozierte und beschimpfte sein Publikum. In der Folge sehnte er sich nach Ruhe und zog sich zurück. In Abkehr von den eigenen Emotionen wandte er sich nun Proportionsstudien zu. "Diese Arbeit ist kalt, nüchtern und konzentriert auf die Gleichgewichtigkeit der Form."
Für Marino Marini waren das Pferd und der Reiter lange Hauptthema seines bildhauerischen Schaffens. Doch die leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs veränderten seine Weltsicht und damit auch seine Werke. Die vormals symbiotische Verbindung zwischen Pferd und Reiter zerbrach. Seine Menschenfiguren verloren zunehmend die Fähigkeit, das Tier zu zähmen. So wurde der stürzende Reiter zum Symbol für die tragische Existenz des Menschen und die verlorene Beherrschung der Natur.
Für Margret Bilger waren die 1930er-Jahre geprägt von persönlichen Krisen: Pflege und Tod der krebskranken Mutter, Schwangerschaft, überstürzte Hochzeit und Totgeburt eines Mädchens. Hinzu kam, dass sie nach ihrem Studium an der Wiener Kunstgewerbeschule keine Möglichkeit hatte, beruflich Fuß zu fassen. Sie zog sich zurück nach Schärding und versuchte weiter zu arbeiten. In ihren Aquarellen und Zeichnungen verwandelte sie ihre unmittelbare Umgebung in zeitlose innere Landschaften.
Alfred Kubins schwierige Kindheit und Jugend sowie der Tod seiner Verlobten stürzten ihn in eine tiefe seelische Krise, wodurch seine Frühwerke durch eine pessimistische Weltansicht geprägt wurden. "Ich mußte diese Dinge machen, ich wäre sonst zugrunde gegangen."
Richard Gerstl, Vorreiter des österreichischen Expressionismus, wurde von seinen Zeitgenoss:innen als ebenso selbstbewusst, rebellisch und rigoros wie "nervös" und labil wahrgenommen. Er fand unter seinen Künstlerkollegen keine Gleichgesinnten und fühlte sich zeit seines Lebens als Außenseiter und Unverstandener. Mit nur 25 Jahren schied er freiwillig aus dem Leben.
Mit dem Tod von ihrem Lebenspartner Gottfried Goebel verlor Greta Freist einen zentralen Zufluchtspunkt. Dieses traurige Ereignis löste eine intensive Schaffensperiode aus und trieb sie zu einem umfangreichen Alterswerk an. Nach der abstrakten Werkphase der 1960er-Jahre wandte sie sich wieder einer figurativen, fantastischen Malweise mit zeitkritischen Inhalten zu.
Als Porträtmaler ging es Oskar Kokoschka weniger um eine naturgetreue Wiedergabe des objektiv Sichtbaren, vielmehr wollte er den Seelenzustand der Dargestellten erfassen. Die melancholische Abbildung des nicht identifizierbaren Mädchens im Werk "Mädchenbildnis" nimmt nicht nur die düsteren Zukunftsaussichten am Vorabend des Ersten Weltkrieges vorweg, sondern auch das endgültige Scheitern seiner Liebesbeziehung.
Maria Lassnig machte immer wieder mit provokanten Gesten auf die Situation von Künstlerinnen in einer von Männern dominierten Szene aufmerksam. In der Hoffnung auf bessere Möglichkeiten wagte sie den Sprung in die USA, doch dort wurden ihre Körpergefühlszeichnungen nicht verstanden. Darauf reagierte sie mit der realistischen Wiedergabe ihres Körpers, umgeben von Gegenständen des amerikanischen Alltags, um ihr Können unter Beweis zu stellen.
Martha Jungwirth erschloss sich als einzige Frau innerhalb der losen Künstlergruppierung Wirklichkeiten ein ganz eigenes Themenfeld: Sie erforschte zeichnerisch jene technischen Haushaltshilfen, die vorgeblich im Dienst der Hausfrau standen. Mit einigen Blättern aus der nach dem Gerätehersteller benannten "Indesit"-Serie war sie 1977 auf der documenta 6 in Kassel vertreten. In der Wiener Szene wurde Jungwirth, die mit dem Kunstkritiker und Museumsdirektor Alfred Schmeller verheiratet war, jedoch weiterhin gerne als Direktorengattin wahrgenommen, die nebenher ein wenig malte. Ihre Karriere kam ins Stocken. Sie arbeitete kontinuierlich, unbeirrt und von Kolleg:innen hoch geschätzt an ihrer abstrakt-gestischen Auseinandersetzung auf großen Papierbahnen. Erst nach der Jahrtausendwende erfuhr die Künstlerin entsprechende Würdigung in der Öffentlichkeit.
Florentina Pakosta zählt zu den Pionierinnen der feministischen Avantgarde. 1971 wurde sie Mitglied der Secession und war ab 1975 deren erstes weibliches Vorstandsmitglied. In dieser Position machte sie sich für ihre Kolleginnen stark und konzipierte 1978 Secessionistinnen, die erste rein weiblich besetzte Ausstellung von Mitgliedern der Künstlervereinigung. Ihre Erfahrung mit der männlichen Dominanz in der Nachkriegspolitik und -kultur verdeutlicht sie in einem Zyklus typologisierter Männerbildnisse – fotorealistische Kreidezeichnungen in plakativem, großem Format. Ihre Porträtköpfe bilden nicht nur mächtige Männer ab, vielmehr spiegeln sich in den Gesichtern auch Machtverhältnisse wider.
Als Feministin hinterfragt die Malerin und Performancekünstlerin Sophia Süßmilch auf heitere, aber zugleich verstörende und provozierende Weise Schönheitsideale, Geschlechterrollen sowie gesellschaftliche Normen und setzt sich mit existenziellen Fragen zum aktuellen Zustand der Welt auseinander. In ihren farbenfrohen, naiven und eigenwilligen Bildwelten verwischen die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst. Für Süßmilch steht außer Frage, dass Selbstermächtigung durch künstlerisches Handeln eine lebensrettende Funktion haben kann.
Slice of Life. Von Beckmann bis Jungwirth
Kuratorin: Barbara Herzog
bis 19. Oktober 2025