Vom Ritterling zum Schwindling geworden

14. November 2016 Kurt Bracharz
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Der Shiitake – da das japanische Wort "take" schon "Pilz" bedeutet, wäre es tautologisch, vom "Shiitake-Pilz" zu sprechen – trägt den wissenschaftlichen Namen Lentinula edodes oder Lentinus edodes und wurde früher zu den Ritterlingsverwandten gezählt, wird jetzt aber als Mitglied der Familie der Schwindlingsverwandten (Marasmiaceae) betrachtet.

"Shii" steht für Pasania, ein mittlerweile für die Systematik obsoleter Sammelbegriff für gut 100 asiatische Arten von Scheinkastanien (Castanopsis), die früher im Englischen als "stone oaks" bezeichnet wurden, weshalb "shiitake" auch heute noch oft mit "Eichenpilz" übersetzt wird. Andere Namen sind Pasaniapilz, Winterpilz und – chinesisch – dōnggū, wobei die letztere, ursprünglich aus der Ming-Dynastie (1368 – 1644) stammende Bezeichnung (xiānggū) auch anders transkribiert sein kann (Xiang Gu, Tongu etc.)

Der Shiitake kann als Zuchtpilz auf dem Holz von Eiche, Buche, Esskastanie, Ahorn und anderen Baumarten angebaut werden. Mengenmäßig ist er weltweit die Nummer Zwei hinter dem Champignon, in Ostasien die Nummer Eins. Bei einem Zuchtpilz besteht ohnehin keine Verwechslungsgefahr, aber ein paar Kriterien sollen doch genannt sein: Die Farbskala des dickfleischigen Hutes reicht von Creme über Hell- bis Dunkelbraun, der leicht gewellte Hut ist nach unten gewölbt, auf seiner Oberfläche liegt ein flockenartiger Flaum, der durch sich einrollende Hutfasern entstanden ist. Risse in der Hutoberfläche sind auf Temperatureinflüsse zurückzuführen. Die Lamellen sind weiß oder gelblich, das feste Fleisch ist weiß.

In Deutschland wurden die ersten Anbauversuche 1909 durchgeführt, aber erst ab den 1970er Jahren wurde Shiitake – vor allem aus Importen – als Speisepilz flächendeckend angeboten. Ein wenig später wurde dann auf seinen Ruf als Heilpilz in der TCM hingewiesen, weshalb er jetzt auch als Pulver und in Kapseln erhältlich ist. Shiitake soll das Immunsystem aktivieren, den Blutdruck senken und allgemein gegen den Alterungsprozess wirken, begründet werden diese Behauptungen mit seinem hohem Gehalt an Polysacchariden (insbesondere Betaglucanen), Triterpenen, Ergothionein, Ergosterol, Polyphenolen, Lektinen und der Vitamin-D-Vorstufe Ergosterin.

Von allen diesen Inhaltsstoffen hatte Wu Rui noch nichts gewusst, als er 1309 in seinem Buch "Arzneimittel für den täglichen Gebrauch" schrieb: "Shiitake verbessert das Qi (die Lebensenergie) und verhindert, dass es verdorrt. Er heilt Erkältungen und durchdringt das Blut. (...) Er ist gut gegen Herzprobleme, bei allen bösartigen Krankheiten, gegen Schlangengift und alle Arten von Eingeweidewürmern." (Die große Panazee der alten chinesischen Medizin war übrigens nicht der so gelobte Shiitake, sondern der als "Pilz der Unsterblichkeit" bezeichnete Ling Zhi oder Reishi, heute bekannt als Glänzender Lackporling alias Ganoderma lucidum, der aber wegen seiner starken Bitterkeit und hölzernen Härte nicht als Speisepilz geeignet war.)

Für den Shiitake gibt es keine ganz speziellen Rezepte. Man kann ihn braten oder kochen, als Suppeneinlage, in Mischpilzgerichten, als Beilage oder Fleischersatz verwenden, nur der Rohverzehr empfiehlt sich nicht. In Vorarlberg wurde gebratener Shiitake eine Zeitlang als Beigabe zu Kässpätzle propagiert, das konnte sich aber nicht durchsetzen. Recht gut macht er sich in den Saucen von Wildgerichten.

Das Foto zeigt ihn als Teil einer Außenwanddekoration eines asiatischen Fastfood-Lokals in Wien.