Vom "netten Jungen" zum zerrissenen Mann

Mit der Verkörperung des "netten Jungen" und des "aufrechten Amerikaners" begründete der am 20. Mai 1908 geborene James Stewart seinen Ruhm. In den 50er Jahren durfte er in den Western von Anthony Mann und in Hitchcocks "Vertigo" aber auch harte, höchst zerrissene Männer spielen. Anlässlich des 100. Geburtstags des US-Stars erinnert das Filmpodium Zürich mit einigen seiner schönsten Filme an den 1997 Verstorbenen.

Frank Capra prägte mit drei Filmen das Bild von James Stewart. In "Mr. Smith goes to Washington" (1939) erweist er sich als "aufrechter Amerikaner" und tritt entschieden für Demokratie und Freiheit des Individuums und gegen politische Intrigen ein. Und – die Capra-Komödie "You Can´t Take It With You" (1938) ist weniger bekannt – im Weihnachtsklassiker "It´s a Wonderful Life" (1946) ist er schließlich der im Grunde herzensgute Familienvater, der am Rande des Selbstmords steht und dem erst von einem Engel deutlich gemacht wird, wie sehr er von allen geliebt wird und wie wertvoll sein Leben ist.

Der "nette Junge von nebenan" ist er auch bei Ernst Lubitsch in "Shop Around the Corner" (1940) und Stewart auf den Leib geschrieben war auch die Rolle des kultivierten Oststädters im wahrhaft Wilden Westen von "Destry Rides Again" (1939). Ohne Überlebenschance ist er in dieser rauen Welt auch mehr als 20 Jahre später in John Fords großartigem "The Man Who Shot Liberty Valence" (1962), doch ein alternder Revolverheld, der genau weiß, dass Stewart nicht nur die neue Zeit mit Recht und Ordnung personifiziert, sondern ihm auch seine Freundin wegnehmen wird, rettet ihm das Leben.

Wie geschaffen war der schlaksige, 1,92 Meter große Amerikaner dann auch für die Darstellung realer "großer" Amerikaner wie Glenn Miller ("The Glenn Miller Story"; Anthony Mann, 1953) und Charles Lindbergh ("The Spirit of St. Louis"; Billy Wilder, 1957) ebenso wie für den verträumten von seinem unsichtbaren weißen Hasen erzählenden Elwood Dowd ("Harvey"; Henry Koster, 1950) oder den für friedliche Koexistenz mit den Apachen eintretenden Abenteurer Tom Jeffords ("Broken Arrows"; Delmer Daves, 1950)

Von diesem Bild des grundsoliden Menschen, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, wollte Stewart aber in den 1950er Jahren wegkommen. – Und Anthony Mann und Alfred Hitchcock boten ihm dazu Gelegenheit. Unglaublich zerrissen und hart zu sich und den anderen ist der von Stewart gespielte Kopfgeldjäger in Manns "The Naked Spur" (1953) und auch in den anderen Western Manns ist er von Rachegefühlen getrieben ("Winchester 73", 1950; "The Man from Laramie", 1955) oder versucht eine verbrecherische Vergangenheit hinter sich zu lassen ("Bend of the River"; 1952).

Bei Hitchcock wiederum spielte Stewart höchst unterschiedliche Rollen, den harmlosen, in ein Verbrechen hineingezogenen Familienvater – bezeichnenderweise an der Seite von Doris Day – im Remake von "The Man Who Knew To Much" (1956) ebenso wie den hemmungslosen, aber sympathischen Voyeur in "Rear Window" (1954), der an den Rollstuhl gefesselt einen Mord aufklärt. In "Rope" (1949) ist er zwar noch der im Grunde anständige Lehrer, trägt aber letztlich durch seinen Zynismus Mitschuld an einem Mord und in "Vertigo" (1958) demontiert Hitchcock schließlich völlig das Bild vom "netten Amerikaner" und lässt Stewart in eine Spirale der Ängste und Obsessionen stürzen, aus denen es kein Entkommen geben kann.

In den 60er und 70er Jahren boten ihm John Ford ("Two Rode Together", 1961; "Cheyenne", 1963), Robert Aldrich ("The Flight of the Phoenix", 1965) und Don Siegel ("The Shootist", 1976) die wichtigsten Rollen, mit dem neuen Kino konnte der alte Hollywoodstar aber nicht viel anfangen. Spärlicher waren die Rollen in dieser Zeit und von den 70er Jahren bis 1992 spielte er vermehrt in Fernsehserien wie "Fackeln im Sturm" (1986). – Stewart starb am 2. Juli 1997 in Beverly Hills.