Virtuoser Darsteller von Durchschnittsmenschen: Philippe Noiret

7. September 2015 Walter Gasperi
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In über 125 Filmen spielte der 1930 in Lille geborene Philippe Noiret, wiederholt hat er sich dabei aber selten, sondern immer wieder mit seiner Wandlungsfähigkeit begeistert. Das Stadtkino Basel widmet dem französischen Schauspieler eine Filmreihe.

In "Coup de torchon" ("Der Saustall", 1981) von Bertrand Taverniers, mit dem er immer wieder arbeitete, spielte Philippe Noiret einen schmierigen Polizisten in Französisch-Westafrika vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Von allen verachtet beginnt er schließlich aufzuräumen und seine Peiniger der Reihe nach zu beseitigen.

Lichtjahre entfernt ist diese Rolle vom warmherzigen Filmvorführer Alfredo, der in Giuseppe Tornatores "Nuovo Cinema Paradiso" (1988) dem kleinen Toto nicht nur das Handwerk des Filmvorführers lehrt, sondern in ihm auch die Liebe zum Film weckt. – Nur zwei der über 125 Rollen sind dies, die Philippe Noiret im Laufe seiner Karriere spielte, deuten aber schon seine große Wandlungsfähigkeit an.

Sein Start im Filmgeschäft verlieft aber keineswegs problemlos, denn auf zwei ungenannte Kurzauftritte in "Gigi" (1949) und "Olivia" (1951) folgte eine mehrjährige Filmpause. Stattdessen nahm der Sohn eines Textilkaufmanns Schauspielunterricht in Paris, wurde 1953 ins Théâtre national populaire aufgenommen und spielte in den folgenden sieben Jahren über 40 Rollen in klassischen Stücken.

Agnes Varda entdeckte zwar schon 1955 sein Gesicht für ihren ersten dokumentarischen Spielfilm "La pointe-courte" (1955), doch richtig los ging es für den 1,90 großen Schauspieler beim Film erst fünf Jahre später mit der Rolle des gutmütigen Onkels Gabriel in Louis Malles "Zazie dans le métro" (1960).

Seine filmischen Anfänge fallen somit mit der Nouvelle Vague zusammen, doch nie war er dieser Bewegung so verbunden wie beispielsweise Jean-Pierre Leaud. Mit Altmeistern wie René Clair ("Tout l´or du monde - Alles Gold der Welt", 1961) und Abel Gance ("Cyrano et d´Artagnan", 1964) arbeitete er ebenso wie mit Newcomern wie Jean-Paul Rappeneau ("La vie de chateau - Leben im Schloss", 1966) oder Yves Robert. Dieser schrieb ihm mit dem dem Nichtstun frönenden Bauern in "Alexandre le bienheureux" ("Alexander, der Lebenskünstler" (1968) eine Rolle auf den Leib und klar war zu diesem Zeitpunkt schon, dass Noiret für die Rolle romantischer Helden wenig taugte, dafür meisterhaft unscheinbare Durchschnittsmenschen verkörpern konnte.

Vor allem mit Bertrand Tavernier arbeitete er ab den 1970er Jahren, von dessen Debüt "L"Horloger de Saint-Paul" ("Der Uhrmacher von St. Paul", 1974) über "La vie et rien d´autre" ("Das Leben und nichts anderes", 1989) bis zu "La fille d´Artagnan" ("D´Artagnans Tochter", 1994) immer wieder zusammen. Er überzeugte als Uhrmacher, der erst im Zusammenhang mit einem Mordes seinen Sohn wirklich kennen und für ihn Solidarität zu entwickeln lernt, ebenso wie als Kommandant, der nach dem Ersten Weltkrieg nach vermissten Soldaten sucht und sich bemüht diese zu identifizieren ("La vie et rien d´autre") und drückte dem schon erwähnten "Coup de torchon" seinen Stempel auf.

Für Michael Radford spielte er in "Il postino" (1994) den auf der Liparischen Insel Salina im Exil lebenden chilenischen Schriftsteller Pablo Neruda, durch den ein einfacher Briefträger politisches Bewusstsein entwickelt, während er in Robert Enricos "La vieux fusil" (1975) einen friedfertigen Arzt verkörperte, der blutige Rache nimmt, als seine Familie von den Nazis ermordet wird.

Seine Wandlungsfähigkeit zeigt sich auch darin, wie unterschiedlich er Angehörige der gleichen Berufsgruppe spielen konnte. Da spannt sich der Bogen vom schüchternen Untersuchungsrichter in Marco Ferrerris "La grande bouffe" ("Das große Fressen", 1973) über den karrieresüchtigen Richter in Bertrand Taverniers "Le juge et l´assassin" (1976) bis zu dem italienischen Richter in Francesco Rosis "Tre fratelli" ("Drei Brüder", 1981), der in Rom Terroristen bekämpft, aber sich auch vor ihnen fürchtet.

Als Paradebeispiel für die Wandlungsfähigkeit, des am 23. November 2006 nach langer schwerer Krebserkrankung in Paris verstorbenen Schauspielers kann man Claude Chabrols "Masques" ("Masken", 1987) ansehen, in dem er einen populären Showmaster spielt, der ein Doppelleben führt, bis seine Masken von einem jungen Journalisten gelüftet werden.

Aber auch in Komödien fühlte sich Noiret zuhause. In Claude Zidis Kassenschlager "Les ripoux – Die Bestechlichen" (1984) sowie den zwei Sequels stand er als korrupter Pariser Polizist im Zentrum, während er in Mantel- und Degenfilmen wie Richard Lesters "The Return of the Musketeers" ("Die Rückkehr der Musketiere", 1989) oder Philippe de Brocas "Le bossu" („Duell der Degen“, 1997) markante Nebenrollen spielte.

Die höchsten Ehren erhielt er freilich nicht für diese Filme, sondern für seine Leistungen in "Nuovo Cinema Paradiso", "La vie et rien d´autre" und "Le vieil fusil": Während er für "Nuovo Cinema Paradiso" 1989 mit dem Europäischen Filmpreis und 1991 mit dem British Academy Film Award ausgezeichnet wurde, erhielt er für die Rollen in den beiden anderen Filmen sowohl jeweils einen César als auch den italienischen David di Donatello-Preis. Seine Rolle in "Coup de torchon" war dagegen wohl zu böse, zu gemein und zu hässlich, als dass man diese fraglos brillante schauspielerische Leistung mit großen internationalen Auszeichnungen belohnen wollte.



Trailer zu "Cinema Paradiso"