Viennale 2018: Starke Filme von Schrader und Schleinzer

Für einen starken Auftakt sorgten bei der Viennale (25.10. – 8.11. 2018) Paul Schraders packendes Priesterdrama "First Reformed" und "Angelo", in dem Markus Schleinzer das Leben des Wiener "Hofmohren" Angelo Soliman nachzeichnet.

Schon der karge Vorspann mit geschwungenen weißen Namen auf schwarzem Grund lassen einen ernsten Film erwarten. Die erste Einstellung, in der die Kamera im Morgengrauen in starker Untersicht langsam auf eine Landkirche zufährt, verstärkt bei Paul Schraders "First Reformed" diesen Eindruck.

Mit Voive-over führt Reverend Toller (Ethan Hawke) in den Film und sein Tagebuch ein, das er als Experiment für ein Jahr führen will und in dem er alles festhalten will. Dass der 46-jährige Priester einer der ältesten Pfarren an der amerikanischen Ostküste schwerkrank ist, spürt man bald, nur langsam und sukzessive erhält man aber Einblick in seine Biographie, an der er zu zerbrechen droht.

Die Glaubenszweifel, die ihn quälen, versucht er ebenso wie die Schmerzen seiner Krankheit im Alkohol zu ertränken. Dann bittet ihn auch noch die schwangere Mary (Amanda Seyfried), mit ihrem Mann Michael zu reden, der am kritischen Zustand der Welt, der Umweltzerstörung und dem Klimawandel verzweifelt und es für verantwortungslos hält heute ein Kind zu gebären.

Gleichzeitig sponsert aber ein Unternehmer, der aus Profitgier rücksichtslos die Umwelt zerstört, die anstehende 250-Jahr-Feier der Kirche. Toller, der zunächst neutral zwischen beiden Positionen steht, beginnt zunehmend Partei zu ergreifen und radikalisiert sich nach dem Selbstmord Michaels.

Mit großer Konsequenz entwickelt Schrader dieses im engen 4:3-Format gedrehte Drama und verknüpft souverän Fragen nach der Verantwortung des Menschen in der heutigen Welt, nach Schuld und Vergebung bis hin zum Schweigen Gottes.

Nicht nur wie ein Nachfolger von Martin Scorseses legendärem "Taxi Driver", zu dem Schrader einst das Drehbuch schrieb, wirkt "First Reformed" mit der zunehmenden Radikalisierung und Gewaltbereitschaft des Priesters, sondern erinnert in dessen Einsamkeit, der Verzweiflung und Krankheit auch an Robert Bressons "Tagebuch eines Landpfarrers". Gleichzeitig erinnert das Ende, das von Gnade und Erlösung kündet, an das Ende von Bressons "Pickpocket", das Schrader schon in "American Gigolo - Ein Mann für gewisse Stunden" zitierte.

Perfekt wird das hervorragend aufgebaute Drehbuch durch die konzentrierte Inszenierung unterstützt. Die Herbststimmung mit kahlen Bäumen und wolkenverhangenem Himmel sowie die dominierenden Grautöne evozieren eine dichte und beklemmende Atmosphäre. Wunderbar zurückhaltend, aber intensiv verkörpert Ethan Hawke den in jeder Szene präsenten, verzweifelten Priester und auch der reduzierte Musikeinsatz trägt entscheidend zur Spannungssteigerung bei.

Stehen bei Schrader Fragen zur heutigen Situation der Welt im Zentrum so spiegelt Markus Schleinzer in "Angelo" in einer historischen Geschichte immer wieder die Gegenwart. Das wird spätestens klar, wenn die im 18. Jahrhundert aus Afrika verschleppten jungen Farbigen in einer Lagerhalle mit Stahlträgern und Neonlicht zum Kauf angeboten werden.

Eine Gräfin (Alba Rohrwacher), die ebenso namenlos bleibt wie alle anderen Personen außer dem Protagonisten Angelo, dessen Nachname Soliman aber nie erwähnt wird, nimmt den kleinen Afrikaner zu sich – und schon setzt die Europäisierung ein, wenn Angelo getauft wird, Französisch lernen muss und geschlagen wird, nachdem er farbenprächtige Vögel aus einer Voliere freigelassen hat.

Weil er gerne Flöte spielt, wird er bald als Attraktion herumgereicht, "darf" in Theaterstücken den "Mohren" spielen und erfundene Geschichten über die ihm längst fremde Heimat Afrika erzählen. Selbst der Kaiser trifft sich mit ihm, sieht in ihm einen Seelenverwandten, weil beide in eine Position geboren seien, aus er sie nicht heraus können.

In aufs Wesentliche verdichteten Szenen thematisiert Schleinzer so in seinem sehr elliptisch erzählten Film Fragen der Identität und von Heimat, diskutiert aber auch den Begriff der Freiheit.

Äußerlich wird Angelo, dessen Biographie nur sehr fragmentarisch überliefert ist, diese zwar erreichen, wird auch den Freimaurern beitreten, doch über den Tod hinaus wird er von der Gesellschaft vereinnahmt, wenn sein präparierter Leichnam schließlich als Schauobjekt neben Eisbären und Vögeln in einem Museum ausgestellt wird.

Nicht leicht zugänglich ist "Angelo" in seiner vieles aussparenden und distanzierten Erzählweise. Andererseits besticht dieser sprüde Historienfilm aber mit seinen genau kadrierten und vielfach nur von Kerzenlicht erleuchteten langen Einstellungen, die an Peter Greenaways "Der Kontrakt des Zeichners" erinnern, ebenso wie durch die zeitlosen und universellen Fragen, die aufgeworfen werden.