Viennale 2017: Am Rand der Gesellschaft

Die Schattenseiten der USA rückt die Viennale mit Josh und Ben Safdies furios inszeniertem, aber inhaltlich krudem Gangsterfilm "Good Time" sowie mit Sean Bakers starkem Sozialdrama "The Florida Project" ins Licht. Ein lakonisches Roadmovie legte dagegen Maryam Goormaghtigh mit "Avant la fin de l´éte" vor.

Unbewegt bleibt die Kamera, fokussiert minutenlang auf den schwergewichtigen Arash, wenn seine beiden Freunde das Zimmer ausräumen. In zwei Wochen will der übergewichtige junge Mann von Paris in seine iranische Heimat zurückkehren. Seine Freunde können ihn aber überreden, davor noch einen Trip nach Südfrankreich ans Meer zu machen.

Die erste Einstellung gibt den Rhythmus von Maryam Goormaghtigh "Avant la fin de l´éte" vor. Lakonisch begleitet die gebürtige Genferin in langen Einstellungen das Trio auf seiner Reise, wechselt zwischen Blicken auf die Landschaft, die gegen Ende auch traumartig in eine braune iranische Wüstenlandschaft übergeht, Diskussionen über die Unterschiede zwischen dem Leben in Frankreich und dem Iran und Begegnungen – im Speziellen mit zwei jungen Frauen.

An Jim Jarmuschs "Stranger than Paradise" erinnert dieses Debüt in der Reise von drei Protagonisten, die vor der Entscheidung stehen, ebenso wie im lakonisch-unaufgeregten Erzählton. Warmherzig ist der Blick, wunderbar authentisch spielen die drei Hauptdarsteller, die spürbar persönliche Empfindungen einfließen lassen. Besonders durch die sorgfältige Kadrage mischt sich immer wieder feiner Humor in die melancholische Grundstimmung dieses Films, bei dem auch mit den wiederholten Blicken durch die Windschutzscheibe immer wieder in der äußeren Reise an die bevorstehende Entscheidung erinnert wird.

Angetrieben von einem fiebrigen Rhythmus wird dagegen "Good Time", in dem Josh und Ben Safdie den von Robert Pattinson gespielten Connie mit seinem geistig behinderten Bruder eine Bank überfallen lassen, um sich damit den Traum von einer Farm verwirklichen zu können. Dass der Plan scheitert, ist absehbar, aber während Nick gefasst wird, versucht Connie mit zunehmend absurderen Aktionen das Geld aufzutreiben, um seinen Bruder gegen Kaution frei zu bekommen.

Zweifellos furios ist das inszeniert, rasant geschnitten, großartig in seinen Lichtspielen und mit extremen Großaufnahmen zwingen die Safdie-Brüder den Zuschauer in die Handlung hinein, lassen ihn das Geschehen hautnah miterleben. Hier gibt es keine Erklärungen, kein Psychologisieren, sondern nur der Augenblick zählt. So mitreißend das aber auch nicht zuletzt aufgrund des treibenden Soundtracks beginnt, so sehr schüttelt man freilich bald auch immer wieder angesichts völlig unglaubwürdiger Wendungen und Details den Kopf.

Vollkommen überzeugen kann dagegen Sean Bakers "The Florida Project". Nah ist hier geographisch Disneyworld, auf das der Titel verweist, doch das Leben der drei sechsjährigen Kinder Moonee, Scooty und Jancey ist diametral entgegengesetzt zu dieser Märchenwelt.

Mit ihren Müttern bzw. Großmutter leben sie in einer heruntergekommenen Motelanlage an einer der Ausfallstraßen von Orlando. Väter gibt es kein, prekär sind die Lebensbedingungen. Während Scootys Mutter als Bedienung in einem Diner den Lebensunterhalt verdient, schlägt sich Moonees Mutter, die selbst noch ein halbes Kind ist und unfähig ist Verantwortung zu übernehmen mit krummen Touren durch.

Baker moralisiert aber weder noch wird sein Film, der in der Mutter-Kind-Beziehung ebenso wie in den prekären Verhältnissen an Adrian Goigingers "Die beste aller Welten" erinnert, zum tristen Sozialdrama, vielmehr zeigt er, wie die Kinder die triste Umwelt mit ihrer Fantasie und ihrer Lebensfreude zu einem Abenteuerspielplatz machen und sich von der materiellen Misere nicht niederschmettern lassen.

Mitreißende Kraft entwickelt dieser Film durch seine frische unverbrauchte Erzählweise, bei der Baker auf eine Hollywood-Dramaturgie verzichtet und sich weitgehend auf die Schilderung des Alltags beschränkt. An den Neorealismus oder auch an die Filme von Covi/Frimmel erinnert sein Film in seiner quasidokumentarischen Inszenierung und der daraus resultierenden Authentizität.

Getragen aber wird dieses starke Drama, das auch durch die kräftigen Farben Lebensfreude und Kraft ausstrahlt, von drei herausragenden Kinderdarstellern, die völlig ungezwungen und echt spielen, und einem großartigen Willem Dafoe, der sich als Manager der Anlage nicht nur um technische und organisatorische Dinge kümmert, sondern immer auch ein Auge für die Kinder hat, Verständnis für sie zeigt und sie vor Gefahren schützt.