Im März 1938 beginnt für österreichische Jüdinnen und Juden ein Wettlauf gegen die Zeit. Einige Wiener Jüdinnen retten sich durch eine Scheinehe mit einem ausländischen Staatsbürger. Diese Ehen werden pro forma geschlossen, aus Solidarität oder gegen Bezahlung, um in ein Land zu gelangen, in dem Jüdinnen und Juden (noch) nicht verfolgt werden. Frauen, die bereits im Exil sind, gehen eine Scheinehe ein, um der Staatenlosigkeit zu entgehen oder sich eine Arbeitserlaubnis zu verschaffen.
Zwölf Frauenschicksale, darunter Stella Kadmon, Hilda Monte und Alma Rosé, berichten von den unterschiedlichen Lebensgeschichten und den Chancen und Risiken einer Scheinehe als Überlebensstrategie – mit unterschiedlichem Ausgang.
Die Violinistin Alma Rosé wurde in Auschwitz ermordet. Die politische Aktivistin Hilda Monte wurde 1945 am Grenzübergang Feldkirch-Tisis erschossen. Die Theaterleiterin Stella Kadmon konnte sich nach Palästina retten.
Nur wenige Frauen erzählten später über ihre Scheinehe.
Heiraten als Überlebensstrategie
In einer aus dem Jüdischen Museum Wien übernommenen Ausstellung widmet sich das Frauenmuseum Hittisau zwölf Frauen, deren Schicksal stellvertretend für viele andere österreichische Jüdinnen steht. Die meisten davon haben die Shoah überlebt, allerdings sind in vielen Fällen die Familienmitglieder vom nationalsozialistischen Terrorregime ermordet worden. Einige Frauen sind bis heute bekannt, die Geschichten vieler anderer wurden durch die wissenschaftliche Aufarbeitung oder dank Aufzeichnungen aus der Familie bekannt.
Scheinehen wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und in Österreich, nach dem so genannten Anschluss, für viele Jüdinnen zu einer Überlebensstrategie. Sie heirateten Männer, die über eine ausländische Staatsbürgerschaft verfügten. Da die Staatsangehörigkeit ausschließlich durch den männlichen Ehepartner bestimmt war, bot dies jüdischen Frauen eine Möglichkeit, sich durch die Zweckehe ein Schlupfloch in die Freiheit zu eröffnen. In Österreich wurde es im Übrigen für Frauen erst 1983 durch eine Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes möglich, einen Partner durch eine Eheschließung einzubürgern.
Abgebrochene Lebenswege
Im Wien des Jahres 1938 ging es für die österreichischen Jüdinnen um Leben und Tod. Es waren durchwegs couragierte und unerschrockene Frauen, die die vielen Risiken, die auch mit einer solchen Zweckehe verbunden waren, nicht scheuten. Meist aus gebildeten, assimilierten und bürgerlichen Familien stammend, suchten sie offensiv nach Männern mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft.
Diese Frauen wagten den Versuch, mittels einer Scheinehe ihr Leben zu retten. Wien mussten sie dafür verlassen – eine Stadt, in der sie geboren waren oder in der sie ihre Jugend verbracht, eine Ausbildung absolviert, in der sie sich bereits beruflich etabliert oder einfach nur ihren Lebensmittelpunkt gefunden hatten.
Stella Kadmon, Alma Rosé, Stella Mann und Anita Bild hatten bereits Karrieren als Künstlerinnen aufgebaut. Elisa Springer hatte ihre Ausbildung gerade erst abgeschlossen, während Hilde Zaloscer bereits promovierte Kunsthistorikerin war. Anna Friedler, Hilda Monte, Rosl Ebner und Yella Hertzka waren politisch organisierte Aktivistinnen. Sarah Berger, Minna Roth und Perl Kartyn bewegten sich im Wiener zionistischen Umfeld.
Selbstbestimmt nach 1945?
Es ist nicht bekannt, wie viele Frauen versuchten, sich mittels einer Scheinehe zu retten. Mit Kriegsende erlosch die Bedeutung der Scheinehe als Schutz vor dem nationalsozialistischen Regime. Die nun möglicherweise wieder erwünschte österreichische Staatsbürgerschaft war für viele Frauen allerdings kaum wieder zu erlangen.
Einige der vorgestellten Frauen wurden für ihre künstlerischen oder wissenschaftlichen Leistungen von österreichischen Institutionen geehrt. Dass sie diese Leistungen vollbringen konnten, war ihrem Überleben und damit ihrer Scheinehe geschuldet. Hilde Zaloscer erhielt einige Preise, die sie jedoch nicht mit Österreich versöhnen konnten. Stella Mann erhielt im hohen Alter zahlreiche Ehrungen, die sie mit Freude entgegennahm. Im Zuge vermehrter politischer Auseinandersetzung um die Erinnerung an vertriebene Jüdinnen und Juden, wurden einige mittels Straßenbenennungen in der Peripherie Wiens gewürdigt, davon zeugen die Alma-Rosé-Gasse, der Yella-Hertzka-Park oder der Stella-Kadmon-Weg.
Verfolgt. Verlobt. Verheiratet
Scheinehen ins Exil
Bis 30. Oktober 2022