Vera Molnar – (Un)Ordnung. (Dés)Ordre.

Die ungarische Künstlerin Vera Molnar (*1924 in Budapest, lebt seit 1947 in Paris) nimmt als Pionierin der Computerkunst eine herausragende Position im Feld der konstruktiv-konkreten Kunst ein. In Kooperation mit der Künstlerin hat das Museum Haus Konstruktiv eine umfangreiche, retrospektiv angelegte Einzelschau zusammengestellt. Mit rund 80 hochwertigen Werken aus Museumssammlungen und Privatbesitz spannt die Ausstellung einen facettenreichen Bogen von den frühen, bisher noch nie gezeigten Handzeichnungen.

Ihre Plotterzeichnungen aus den späten 1960er Jahren bis hin zu einer neuen, eigens für das Museum Haus Konstruktiv konzipierten Installation werden ebenfalls zu sehen sein. Eine Zeitreise ins Herz einer ebenso kalkulierten wie sinnlichen Spielart konkreter Kunst. Der Ausstellungstitel verweist auf die kreative Praxis der Künstlerin und wirft mit Bezug auf ihre konzise Bildsprache Fragen nach dem Verhältnis von Ordnung und Unordnung auf.

Vera Molnars Affinität zur konkreten Kunst und ihr Streben nach der Systematisierung und Reduktion der bildnerischen Mittel zeichnen sich schon während ihres Studiums ab, das sie 1942 bis 1947 an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest absolviert. Dort beginnt sie sich für die abstrakte und konkrete Kunst zu interessieren und beschäftigt sich u.a. mit El Lissitzky, Kasimir Malewitsch und Piet Mondrian. Ihre kunsthistorischen Recherchen führt Molnar bis heute weiter, es entstehen die sogenannten "Hommagen", die Molnar ihren kunsthistorischen Inspirationsquellen widmet. Im Museum Haus Konstruktiv sind Werke zu sehen, die in direkter Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Albrecht Dürer, Sonia Delaunay, Kasimir Malewitsch, Josef Albers und Paul Klee entwickelt wurden.

Schon in den frühen Hommagen der 1950er Jahre wird Molnars Vorhaben deutlich, einfache geometrische Formen wie das Quadrat und den Kreis mittels Verschiebungen, Verzerrungen und Überlagerungen zu derangieren und zu dekomponieren. Unter dem Motto "Ordnung und Unordnung" beginnt Molnar zu experimentieren: Ein festgelegtes Ordnungssystem soll durch punktuelle Störungen dynamisiert werden, sodass neue, unerwartete Ordnungen entstehen. Die Künstlerin verzichtet von nun an auf das Einzelbild und beginnt, in Serien zu arbeiten.

1959 entwickelt Molnar eine Methode, mit der sie Bilder nach selbst erdachten Algorithmen entwirft: "Um meine Forschungsserien wirklich systematisch zu verarbeiten, verwendete ich zunächst eine Technik, die ich "Machine imaginaire" nannte. Ich stellte mir vor, ich hätte einen Computer. Ich entwarf ein Programm, und dann, Schritt für Schritt, realisierte ich einfache, begrenzte Serien, die aber in sich geschlossen waren, also keine einzige Formkombination ausliessen." Mit ihrem imaginären Computer legt sie die Basis für ihr künftiges Arbeiten mit dem realen Computer.

Als Molnar 1968 tatsächlich zum ersten Mal den Computer als künstlerisches Medium hinzuzieht – das Rechenzentrum der Sorbonne in Orsay stellt ihr ein solches Gerät zur Verfügung –, kommt dies einer innovativen Pioniertat gleich. Molnar ist eine der ersten an der Akademie ausgebildeten Künstlerinnen, die mit dem Computer Bilder kreiert. Dafür muss sie zunächst die Programmiersprache "Fortran" erlernen, und dass es zu dieser Zeit noch keine Bildschirme gibt, erschwert das Vorhaben zusätzlich: Molnar kann zwar Algorithmen eingeben, das Resultat ist aber nicht unmittelbar sichtbar. Die visuellen Darstellungen werden von Plottern ausgeführt und sind erst einige Stunden später zu sehen.

Innerhalb der Kunstszene stösst Molnars künstlerische Praxis auf Kritik, da der Rechner keine Originale, sondern nur Reproduktionen schaffe. Molnar meint dazu: "Diese Maschine, so beeindruckend sie ist, ist doch nur ein Instrument in der Hand des Malers. Ich benutze den Computer, um Formen miteinander zu kombinieren. … (Der) Computer hilft, aber er "macht", er "gestaltet", er "erfindet" nichts." Für Molnar ist der Computer ein geeignetes Mittel, in kurzer Zeit eine Vielzahl von exakten Zeichnungen zu generieren, die keine Kombinationsvarianten auslassen. Er hilft, ihre Handzeichnungen und deren Modifikationen vielfältig und präzise umzusetzen. Unter Hinzunahme eines Zufallsgenerators entwickelt sie Serien, in denen ein strenges Ordnungssystem durch zufällige Störungen unterbrochen wird, zumindest 1% davon. Denn noch heute ist Molnar der Überzeugung, mindestens 1% Prozent Unordnung in Ordnungen erzeugen zu müssen.

Die Einzelschau "(Un)Ordnung. (Dés)Ordre" im Museum Haus Konstruktiv ist nicht chronologisch, sondern nach verschiedenen Themen geordnet, innerhalb derer ein Bogen von frühen bis hin zu aktuellen Arbeiten gespannt wird. Immer wieder greift Molnar auf bereits existierende Arbeiten zurück und lädt sie mit neuen Ideen auf. In der Ausstellung spiegeln sich die zentralen Themen, denen sich Molnar nun schon jahrzehntelang widmet: Dies sind, neben den Grundformen Kreis und Quadrat, auch die Linie sowie die Variation bestimmter Buchstaben.

Neben Zeichnungen, Collagen, Computerzeichnungen, Fotografien und Gemälden wird zum ersten Mal "on se promène?" gezeigt, ursprünglich eine Arbeit auf Papier aus dem Jahr 1988, die nun als installative Wandarbeit umgesetzt wird. Mit "on se promene" beweist uns Vera Molnar einmal mehr, dass sie mit 91 Jahren immer noch innovativ mit ortsspezifischen Gegebenheiten umzugehen weiss.


Vera Molnar – (Un)Ordnung. (Dés)Ordre.
5. Februar bis 10. Mai 2015