Vor 125 Jahren, unter der musikalischen Leitung des damaligen Direktors Gustav Mahler, stand Tschaikowskis Oper zum letzten Mal am Spielplan der Wiener Staatsoper. Die solide Inszenierung von Evgeny Titov und die Staatsopern-adäquate hochkarätige musikalische Darbietung unter der Leitung von Tugan Sokhiev zeigen ihr Bestes. Aber hat man es sich mit der Alleinstellung des nur eineinhalb Stunden währenden Einakters nicht doch etwas schwer gemacht?
Die Oper Iolanta wurde bei Piotr Iljitsch Tschaikowski zusammen mit dem Nussknacker-Ballett in Auftrag gegeben und so auch 1892, knapp ein Jahr vor seinem Tod, im St. Petersburger Mariinski-Theater uraufgeführt. Diesen Ansatz nahm Lotte de Beer beim Regiedebut an „ihrer“ Volksoper wohl auf, als sie vor drei Jahren die beiden Werke ineinander verschränkt spielen ließ. Das war schlüssig, so die innere Fantasiewelt der blinden Prinzessin mit märchenhaften Ballettszenen sichtbar zu machen, und auch die allseits bekannten Melodien der Nusknacker-Suite trugen zur kurzweiligen Farbigkeit bei.
In der Staatsoper wirkt das Anfangsbild wie ein Botticelli Gemälde (ist auch so gemeint): Iolanta räkelt sich nackt im Teichlein, umgeben von den fröhlichen Gefährtinnen in langen Spitzengewändern … Hat man zur Introduktion ausschließlich Hörner und Holzbläser in düsterer Stimmung gehört, setzen nun die Streicher (ein Teil davon romantisch auf der Hügelkuppe gruppiert) und Harfe mit lieblichen Tönen ein. „Ihr verheimlicht mir etwas“, Iolanta spürt, „dass etwas nicht stimmt“. Im idyllischen Rosengarten hat König René für seine Tochter einen goldenen Käfig geschaffen, sie darf weder wissen, dass sie blind, noch dass sie Prinzessin ist. Er verlangt despotisch die Heilung von dem maurischen Arzt Ibn-Haikia, doch dies kann nur geschehen, wenn Iolanta bewusstwird, dass sie nicht sieht.
König René (gewichtig, Ivo Stanchev) ist zwiegespalten, er will seine Tochter vor der Realität schützen, doch soll sie Herzog Robert heiraten, der nichts von ihrem „Makel“ weiß. Besonders vertrauenswürdig wirkt Ibn-Haikia (geschäftig, Attila Mokus) mit seinen herausfordernden Lösungen auch nicht, wenn er die Prinzessin zwangsimpft. Robert (überschwänglich, Boris Pinkhasovich) taucht plötzlich mit seinem Freund Graf Vaudémont (empathisch, Dmytro Popov) im Garten auf, sie haben sich verirrt. In seiner Arie preist der Herzog die unvergleichliche Matilda (laut Regisseur Evgeny Titov in Russland ein geflügeltes Wort, dessen Ursprung kaum jemand kennt), die er eigentlich heiraten will, verschwindet dann wieder. Vaudémont trifft auf Iolanta (bezaubernd, Sonya Yoncheva) und verliebt sich auf den ersten Blick.
Vaudémont wird gewahr, dass Iolanta blind ist. Voller Mitleid erzählt er ihr von der Schönheit des Lichts, diesem „wunderbaren ersten Werk der Schöpfung“, und bricht damit das Tabu, von dem er nichts weiß. Im zentralen Duett wird deutlich, dass die beiden die Schönheit der Natur und die göttliche Schöpfung gleichermaßen lieben, jedoch in ganz unterschiedlicher Art wahrnehmen können. Sowohl König René als auch dem Arzt ist nun klar, dass das Schicksal entschieden hat. Die Sehnsucht nach dem Licht, die Liebe und Zukunftshoffnungen lassen Iolanta trotz ihrer Zweifel (wie soll sie etwas wollen, was sie nicht kennt …) den Weg der Heilung gehen, wohl gleichbedeutend mit dem Erwachsenwerden, und sie muss lernen, die Welt so zu sehen, wie sie ist.
Doch irgendetwas fehlt, die Emotion kommt nicht rüber. Ist es die fehlende Poetik in der Untertitel-Übersetzung der russischen Texte oder eine Bestätigung der Ahnung des Komponisten? Tschaikowski schreibt am 25. Juli 1891 einen Brief an seinen Bruder Modest, der die Texte verfasste: „Das Libretto ist wunderschön. Es hat nur einen Fehler; aber du bist schuldlos an ihm. Nach dem Duett vom Licht, finde ich, ist bis zum Schluss zu wenig Gelegenheit für Musik, sondern immer wird nur die Handlung erklärt. Ich fürchte, das wird langweilig sein.“
Waren dies eventuell auch Bedenken bei der Inszenierung, wenn zum guten Ende Herzog Robert – adrett im grauen Anzug, weißes Hemd – mit dem blutenden toten Stier einzieht, auf dem seine Herzensdame Matilda als Bodybildnerin thront, und bittet ihn freizugeben? Unübersichtlicher Tumult. Iolanta kann sehen. Lautstark jubelnd preisen alle Gott und das Wunder der Heilung. Der Käfig der Illusionen mit den windschiefen Palastkulissen bricht in sich zusammen, das Schlussbild – vom Krieg zerstörte Landschaft.
Im bereits zitierten Brief an Modest schreibt der Komponist: „Merkwürdig: Solange ich das Ballett komponierte, hielt ich es für unbedeutend und vertröstete mich auf die Oper, in welcher ich zeigen wollte, was ich noch kann. Und jetzt will es mir scheinen, dass das Ballett gut ist und die Oper – nichts Besonderes.“
Piotr I. Tschaikowski Iolanta
Lyrische Oper in einem Akt, in russischer Sprache
Text Modest Tschaikowski
Musikalische Leitung: Tugan Sokhiev
Inszenierung: Evgeny Titov
Bühne: Rufus Didwiszus
Kostüme: Annemarie Woods
Iolanta : Sonya Yoncheva
König René: Ivo Stanchev
Robert: Boris Pinkhasovich
Graf Vaudémont: Dmytro Popov
Ibn-Hakia: Attila Mokus
Almerik: Daniel Jenz; Bertrand: Simonas Strazdas
Marta: Monika Bohinec; Brigitta: Maria Nazarova; Laura: Daria Sushkova