A True Hollywood Story

Leidenschaft für das glamouröse Kino und dessen göttliche Diven kennzeichnet das künstlerische Schaffen von Francesco Vezzoli. Der in der Ausstellung gezeigte Werkkomplex um den Film "Marlene Redux: A True Hollywood Story!" (2006) ist gleichzeitig eine Hommage an die Schauspielerin Marlene Dietrich und eine Autobiografie. Was aber hat der Künstler eigentlich mit Hollywood zu tun? Was ist überhaupt wahr, an den Geschichten, die er erzählt?

Vezzoli spielt mit der Übertragbarkeit von traditionellen Marketingstrategien der Filmbranche, die zur Erzeugung von Prominenz eingesetzt werden, auf die zeitgenössische Kunst. Bezeichnenderweise beginnt Marlene Redux mit einem Zitat des Dadaisten Tristan Tzara: "Da die Völker immer Gottheiten brauchten, um die drei wesentlichen Gesetze zu erhalten, die diejenigen Gottes sind: essen, Liebe machen, und scheißen, da die Könige auf der Reise und die Gesetze hart sind, gilt heutzutage nur noch das Geschwätz." ("Dada Manifest über die schwache und die bittere Liebe", 1920)

Angelehnt an die US-Entertainmentserie "E! True Hollywood Story", eine Fernsehshow, die seit 1996 Klatsch und Tratsch über Schauspieler und Rockmusiker ausstrahlt, erzählt Vezzoli nach Art trivialer TV-Reportagen über seinen eigenen Aufstieg und Fall als Künstler und Regisseur sowie die Vorbereitungen zu seinem neuen Film Marlene Redux, einem Remake des preisgekrönten Dokumentarfilms von Maximilian Schell Marlene (1984). Wie schon in früheren Arbeiten greift der Künstler auf das ikonografische und symbolische Repertoire des Kinos und seiner Geschichte zurück, um das Spannungsverhältnis zwischen hyperstilisierter Fiktionalisierung und banaler Realität zu thematisieren.

In Marlene Redux geht es um Parallelen zwischen der Figur der Diva und dem Image des Künstlers als Produkte der Medien, die sich sowohl aus Publikumserfolgen wie auch negativen Schlagzeilen und Gerüchten speisen. Vezzoli persifliert jene obsessive Faszination, die sich um das Privatleben von Stars und Sternchen dreht, um Personen und Persönlichkeiten, die Träume verkörpern und selbst zu Mythen werden. À la Kenneth Angers Chronique scandaleuse Hollywood Babylon konstruiert er seine zeitgenössische Prominenzhölle und schreibt sich selbstironisch als bildender Künstler in die Skandalberichterstattung ein. Das komplizierte Beziehungsnetz rund um das verstorbene Idol setzt sich in den Poster- und Stickarbeiten fort, die neben dem Videofilm im Glaspavillon des project space präsentiert werden. In den Ankündigungen imaginärer Filmproduktionen, die Vezzoli von italienischen Plakatmalern ausführen ließ, tauchen die Namen bedeutender Künstler als Who is Who einer alternativen Glamourwelt auf, die künstlerische Avantgarden mit der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts verknüpft.

Spätestens seit seinem internationalen Durchbruch auf der Venedig Biennale 2005 mit dem Trailer zu einem fiktiven Remake der Penthouseproduktion "Caligula" nach dem Drehbuch von Gore Vidal (in der Kunsthalle Wien 2005 im Rahmen der Ausstellung Superstars gezeigt) gehört Francesco Vezzoli, der u.a. Sharon Stone, Cate Blanchett, Milla Jovovich, Courtney Love und Natalie Portman für seine Projektegewinnen konnte, selbst zu den Stars der Kunstszene. Er interessiert sich für Remakes, Kopien und Fakes und eignet sich die Sprache der Traumfabrik Hollywood, der TV-Sender und Klatschmagazine an, um Kommunikationstools zu autonomen Repräsentationsformen für nicht vorhandene Produkte pervertieren zu lassen – Parodien auf das Showbiz und den Hype um die Reichen, Schönen und Mächtigen dieser Welt.

Mit Analogien zwischen Film-, Kunst- und Politjetset spielt Vezzoli auf gegenwärtige dekadente Gesellschaftsphänomene an und führt die Dominierung der Medien und die Mechanismen ihrer visuellen Sprache ad absurdum, mit der Scheinwelten und das kollektive Begehren danach produziert werden. Guy Debords "Gesellschaft des Spektakels" inkarniert sich in ihrem Eventcharakter im Werk von Vezzoli als selbstreflexive Performance: "For me the art world has become a place that has turned itself, willingly or not, into some sort of entertainment industry." Vezzoli praktiziert eine Form von zeitgenössischem Dadaismus, indem er den Kunstbetrieb spielerisch mit der Semantik des Ruhmes und ihren kommerziellen Vehikeln infiltriert, nicht ohne dabei selbst Komplize zu sein.

Marlene Redux: A True Hollywood Story!
7. November bis 6. Dezember 2009