Tobias Zielony. Jenny Jenny

Der in Berlin lebende Künstler Tobias Zielony (*1973 Wuppertal) zählt zu den meistdiskutierten deutschen Fotografen seiner Generation. Die Berlinische Galerie zeigt jetzt erstmals in einer um-fangreichen Einzelausstellung sein neuestes Projekt "Jenny Jenny" (2011-2013), das auch zwei fotografische Animationsfilme umfasst. Daneben wird die Serie "Trona" (2008) zu sehen sein, die das Landesmuseum für Moderne Kunst für seine Fotografische Sammlung erwerben konnte.

Seit mehr als zehn Jahren portraitiert Tobias Zielony junge Menschen, denen er an urbanen und sozialen Peripherien westlicher Wohlfahrtsstaaten begegnet. Dort wo Errungenschaften der Moderne brüchig und Versprechen auf ein solidarisches Gemeinwesen entzaubert sind, entstehen seine Motive: Jugendliche im nächtlichen Los Angeles, die ihren Ort in den Zwischenräumen der Stadt suchen (The Cast, 2007), Nachfahren kanadischer Ureinwohner in den Reservaten Manitobas, deren kulturelle Traditionen ebenso zerstört wurden wie ihre Zukunftsaussichten (2009), Camorra-Familien, deren Kinder im einstigen Avantgarde-Wohnkomplex, dem Neapolitanischen "Vele", posieren (2010). Sie alle scheinen sich vor Zielonys Kamera ins geeignete Licht rücken zu wollen für die Konstruktion eines souveränen, stolzen Bildes ihrer selbst, obgleich sie um die Anfechtbarkeit der Bilder wissen.

Die 18-teilige Serie "Trona" (2008) zeigt Jugendliche aus der gleichnamigen Wüstenstadt unweit von Los Angeles. Als die ehemalige Industriestadt im Zuge wirtschaftlicher Veränderungen verfiel, begannen viele ihrer Bewohner sich mit der Droge Crystal Meth zu betäuben. Trona steht für viele Städte des verarmten ländlichen Amerikas. Zielony fragt, was passiert, wenn soziale und institutionelle Strukturen zerfallen und die Menschen sich selbst überlassen werden.

Sein jüngstes Projekt heißt "Jenny Jenny". Es geht um junge Frauen, von denen einige ihr Geld mit Sexarbeit verdienen. Doch die Realitäten und Rollen sind fließend. Sowohl für die Frauen selbst, als auch im Hinblick auf gesellschaftliche Zuschreibungen. Die Offenbarung des wahren Kerns einer Person oder eines Moments ist ein Mythos, denn die Frage nach der Authentizität des Subjekts scheint für Zielony ebenso entschieden wie die Frage nach der Objektivität des Dokumentarbildes: Beide sind niemals frei von Inszenierung.

Zielonys Protagonistinnen zeigen sich mal in den Posen sinnlicher Illusion, mal in Stille hinter den Kulissen, mal in unbestimmten Zwischenräumen, ohne hinter ihren vielen Gesichtern je ein Einziges zu enthüllen. Zielonys Blick sucht die Nähe eines fotografischen Augenblicks, der seine Figuren zwischen dem Dunkel nächtlicher Straßen und dem Begehren weckenden Leuchten der Interieurs zwar mit großer Empathie erfasst, aber nie festlegt.

Seine Serie über den Alltag der Frauen mitten in Berlin – und doch am Rand gesellschaftlicher Akzeptanz – entsteht im Lauf von fast zwei Jahren, in denen sich Zielony mit seinen Protagonistinnen immer wieder trifft und doch um seine Rolle als Außenstehender weiß. Es entstehen Fotografien von großer Intimität und zugleich unhintergehbarer Distanz. Die Dunkelheit und Undurchdringlichkeit seiner Fotografien korrespondiert mit den fragilen Versprechungen einer Welt, in der ein "Mehr", ein Morgen danach, nicht vorgesehen ist.

Tobias Zielony. Jenny Jenny
21. Juni bis 30. September 2013