Tintinnabulation

Kaum etwas ist verheissungsvoller als das Klingen der Glocken – versetzt mit Erinnerungen, Erwartungen und Emotionen aller Art. Edgar Allan Poe trug dieser aufgeladenen Bedeutung Rechnung und kreierte ein Wort für den spezifischen Klang der Glocken: Tintinnabulation; bereits in seiner phonetischen Anlage ein "klingendes" Wort. Und es ist ein Wort, dass die Werke des Künstlerduos Husmann/ Tschaeni in wunderbar offener, assoziativer Weise beschreibt: Es handelt sich um Werke, die uns rufen, mit unseren Vorstellungen spielen, Kopfkino auslösen und unsere Sinne zum Klingen bringen.

Ihre Hinterglasmalereien, in ihrer Farbigkeit im besten Sinne überbordend, bestehen aus mehreren Schichten, die von hinten auf Acrylglas aufgetragen werden – so bleibt immer das Erstgemalte sichtbar und es besteht keine Möglichkeit, das bereits Applizierte zu übermalen. In den diversen Ebenen überlagern sich figürliche, grafische, ornamentale Motive, verschiedene Techniken und Materialien (Kunstharz, Ölfarbe, Kreide, Bleistift, Farbstift, Aquarell, Sprayfarbe, Pigmenten und Glimmer).

Diese Vielfalt fügt sich in den Bildern – an denen die Künstler abwechselnd und ohne sich abzusprechen arbeiten – zu einem eigenen kleinen, abgeschlossenen Kosmos. Darin verschmilzt Alltägliches aus dem unmittelbaren Umfeld des Künstlerduos mit Aspekten aus weitreichenden Inspirationsquellen – ein Fundus der von den Nornen der nordischen Mythologie über die Schnauztätowierung der Australischen Künstlerin Vali Myers reicht – und phantastischen Überhöhungen.

Durch eine wuchernd anmutende Bildrückseite, die mit Möbeln, Objekten aus Brockenhäusern und pflanzlichen Relikten ausgestattet wird, bekommen die grossformatigen Hinterglasmalereien zusätzliche eine dreidimensionale Komponente und werden in der Kunsthalle zur Installation. Der Kunstraum wird auf diese Weise zu einer begehbaren Ausstellungslandschaft, in der sich die Werke rundum in ihrem Detailreichtum und ihrer Komplexität entdecken lassen. Die bühnenbildartige Szenerie wird komplettiert durch ein Klavier und ein kleines Tanzbodenelement.

Genutzt wird die Tanzbühne an der Eröffnungsperformance, die durch das während der ganzen Ausstellung zu sehende Video "Ox lahun" begleitet wird. "Ox lahun" geht auf eine Performance von 2012 zurück, die im Tierlignadenhof im Aargau aufgenommen wurde, das von 100 Tieren bewohnt wird. Wie so oft in ihrer Arbeit haben Husmann/ Tschaeni hier Faszinierendes, durchaus surreal Erscheinendes aus der uns umgebenden Welt aufgespürt und machen es zur Ausgangslage ihres Werkes.

Analog zu vielen der Bildmotive bilden – neben den Tiere – die zwei Kinder des Künstlerpaares die Protagonisten der Performance. Sie singen den eigens kreierten Songtext, tragen selbst gemachte Kostüme und spielen auf Tonflöten, die einen tiefen, unverwechselbaren Klang erzeugen. Handelt es sich um den 13., den kosmischen Ton "Ox lahun", welcher der Performance ihren Namen verliehen hat?

Extra für die Kunsthalle wurde ein neuer Performancefilm geschaffen, der ein wichtiges Thema der Künstler aufnimmt: Das beständige Weiterspinnen, das Weiterentwickeln, das Wiederaufnehmen und das Verändern von Vorhandenem – wie wiederkehrende, sich überlagernde und verblassende aber nie ganz vergehende Erinnerungen. Dementsprechend führen Garnfäden, die den sprichwörtlichen roten Faden und die den Werken imminenten Verknüpfungen und Verbindungen lose visualisieren, in den Kabinettraum der Kunsthalle, wo der mit dem Zeichen für Unendlichkeit "∞" betitelte Film gezeigt wird. In einer Verdichtung nimmt auch dieser viele Motive der ausgestellten Werke wieder auf und wird neben den Kindern durch zwei Eulen als Spezialgäste bespielt.

Dazu werden im Untergeschoss Versatzstücke einer Kugelbahn aufgebaut: Vielleicht ein Sinnbild stiftend, sicher aber eine starke Assoziation auslösend – befindet sich doch die Kugel ständig in Bewegung, steht nie still, bleibt aber doch in ihrem eigenen, immer gleichen Kosmos behaftet ohne dessen müde oder überdrüssig zu werden.

Tintinnabulation
20. Dezember 2013 bis 19. Januar 2014