Till Eulenspiegel

6. Februar 2016 Bernhard Sandbichler
Bildteil

… und eine Auswahl seiner 95 Historien hat schon so mancher nacherzählt. Nun hat sich der geniale Erzählmaniac und uferlose Plauderer Clemens J. Setz daran gemacht: überraschend diszipliniert, aber so gar nicht handzahm.

1. Die Story: Er wird geboren, getauft, lebt und stirbt. Ein Leben wie jedes andere? Nein, denn hier wird die "nackte Freiheit", die sich das Leben nehmen könnte, ausgelebt und endet stets "nur eine Wimpernlänge vom Chaos entfernt", wie Setz im Nachwort schreibt.

2. Der Held: "Wenn alle Menschen wie Till Eulenspiegel wären, würde nichts auf Erden funktionieren. Gerade deshalb ist es befreiend, für die Dauer dieses Buches er zu sein. Zugleich kann es auch beängstigend sein, denn wer fühlt nicht jeden Tag in bestimmten Momenten eulenspieglerische Möglichkeiten in sich auflodern?" Na, genau aus diesem Grund gibt’s die Literatur.

3. Der Sound: Bei Setz ist Eulenspiegel kein liebenswerter Schelm. Hier ist er von klein auf verhaltensoriginell und zwanghaft kretzig: ein kleines Arschloch, das sich sträubt und sperrt, einer, den Mangel und Überfluss umtreiben, einer, der an sich und andern demonstriert, wie viel Einbildung und Dummheit die Welt regieren. All das kommt nicht überheblich daher, sondern durchaus auf Augenhöhe und in geradezu analytischem Stil. "Noch nie in seinem kurzen Grautierleben war er auf dem Gebiet der Mustererkennung so enttäuscht worden" - wer hat je so vom Esel gelesen, der mit "I-Aaah!" protestiert?

4. Coole Bilder: Waechters Illustrationen zeigen keinen schellenbehangenen Clown, sondern einen schlaksigen Landstreicher in naiv gezeichnetem Mittelalter-Ambiente: ein durchaus gelungener Kontrast.

5. Coole Wörter: Setz hat sprachlich überhaupt nichts überinstrumentiert. Gerade das macht die Coolness aus. "Ich bin in erster Linie Wahrheitssager. Und verstehe mich auf jedes Handwerk": Das gilt auch für Setz.

6. Zum Nachdenken: Der Haushälterin des Pfarrers von Büddenstedt fehlt ein Auge. Ob sie nur den halben Mond sehen kann?

7. Autor und Illustrator: … haben nicht an gemeinsames Lesen in der flauschigen Kuschelecke gedacht. Dies ist eine Einführung ins Leben, dem man früher oder später ins Auge schauen wird müssen: kein reines Lesevergnügen, eher ein unreines - ganz so unrein, wie das Leben selbst.

8. Das Buch: Till Eulenspiegel. Dreißig Streiche und Narreteien. Nacherzählt und mit einem Nachwort von Clemens J. Setz, illustriert von Philip Waechter. Berlin: Insel Verlag 2015, 151 S., 31 Abb., 16,50 Euro