Der 1961 in Hard geborene Künstler Thomas "tOmi" Scheiderbauer nahm die Erkrankung an einem Knochemarktumor zum Anlass, sein bisheriges Leben in Buchform nachzuzeichnen.
Scheiderbauer hat eine nomadische Ader. Er lebte und arbeitete eine zeitlang in Ägypten, dann in der Schweiz, hierauf in Spanien, und seit mittlerweile rund fünfzehn Jahren hat er seine Zelte im süditalienischen Lecce aufgeschlagen. Wobei die „seßhaften Zeiten“ immer wieder durch Reisen, vielfach im Zusammenhang mit Projekten, unterbrochen werden. Im Zentrum seines künstlerischen Schaffen stehen stets brisante Themen wie beispielsweise Flucht- und Armutsmigration. Seine Unterfangen sind multimedial angelegt und beziehen in der Regel viele Menschen oder ganze Menschengruppen mit ein. Dementsprechend ist seine künstlerische Praxis auf „Partizipation“ ausgerichtet, er selbst bezeichnet sich aus diesem Grund denn auch als „Partisten“.
Im Frühsommer 2019 wurde beim Künstler im Zuge einer Untersuchung ein Knochemark-Tumor (Multiple Myelom, auch als Morbus Kahler bezeichnet) diagnostiziert sowie die Krankheit Amyloidose AL, bei der sich fehlerhafte Proteine in Organen ablagern können. Während der ersten Therapisitzung im Anschluss der Diagnose entschied sich der Künstler, sein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen und alles aufzuschreiben. Die Entscheidung sei Hand in Hand damit gegangen, dass er seiner Partnerin in Lecce damals mitteilte, dass er gelassen sterben wolle, wenn es denn sein müsse. Im vielen Monate dauernden Zeitraum der Behandlung, zu der auch eine Knochemarkstransplantation gehörte, und den entsprechenden Krankenhausaufenthalten wurde die Basis der Autobiografie gelegt, die kürzlich unter dem Titel „Ich bin – Meine Freund:innen, der Tumor und die Kunst“ erschienen ist.
Bei den Recherchen zum Buch habe ihm, so seltsam das auch klingen möge, vor allem sein Unterbewusstsein geholfen. „Das servierte mir immer wieder erstaunliche Erinnerungen, die mich, so wie ich es auch irgendwo im Buch nenne, bei ‚Heilungslaune‘ hielten“, lässt der Künstler wissen. Was die Tumorzeit und den Aufenthalt im Krankenhaus selber anbelangt, so habe er auf Notizen zurückgegriffen, die er immer wieder spontan gemacht habe. Und natürlich seien die vielen Gespräche mit seiner Lebensgefährtin Francesca Eugeni, der früheren Partnerin Teresa Alonso Novo, sowie mit seiner Schwester und seiner Mutter stark ausschlaggebend gewesen, um die vielen Informationen zusammenzutragen.
Und das Buch ist entsprechend gespickt mit vielfältigsten Inhalten, die nicht nur Aufschluß über die inneren Empfindungen Scheiderbauers liefern und schildern, wie er den Tumor eigenen Worten zufolge „als Freund“ und auch als Geschenk annahm, sondern es stellt zudem eine Zeitreise durch rund vierzig Jahre Kunstschaffen dar. Wichtig etwa seine Zeit in Basel, als er an der dortigen Universität die Audiovisuelle Kunstklasse besuchte und wie er dort 1989 zusammen mit Muda Mathis, Pipilotti Rist, Sus Zwick, Käthe Walser, Luks Brunner, Uri Urech und anderen das Atelierkollektiv VIA (Videoaudiokunst) gründete. Damals war Pipilotti Rist seine Freundin. In Basel setzte sich Scheiderbauer auch eingehend mit dem Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner auseinander, was auch immer wieder in seinem Werk durchschlägt.
Nach Basel arbeitete Scheiderbauer gemeinsam mit Teresa Alonso Novo, Adel Hozayin sowie Maria und Sharif al Ghamrawy eineinhalb Jahre in Ägypten, und zwar in Kairo und dann auf der Halbinsel Sinai, um dort die „Atelierhäuser Shabramant und Basata“ konzeptuell zu planen und umzusetzen.
Im Jahre 1991 kam es zur Gründung des Künstlerkollektivs „C.A.L.C“ (Casqueiro Atlantico Laboratorio Cultural. Neben ihm wirkten hier Teresa Alonso Novo, Lux Brunner und Malex Spiegel an diesem Projekt mit, in deren Mittelpunkt die Realisierung einer interaktiven Infraskulptur während zwölf Jahren in Las Aceñas an der nordwestspanischen Atlantikküste stand. Einzelne Konzeptionen von C.A.L.C. stellte die Gruppe auch mehrfach in Vorarlberg aus, zum Beispiel in der Bregenzer Galerie Lisi Hämmerle. 1998 begann eine intensive siebenjährige Kooperation mit Michelangelo Pistoletto, über die Scheiderbauer auch immer wieder im Buch reflektiert.
Seit über fünfzehn Jahren lebt „tOmi“ Scheiderbauer, dessen eigenwillige Schreibweise des Vornamens auf die ihm sehr wichtig gewesene Omi verweist, im süditalienischen Lecce. Als „Künstler ohne Grenzen“ (K. O. G.) widmet er sich dabei immer wieder Gemeinschaftsprojekten mit und für Geflüchtete, wie etwa Nessun Confine, Leccebilita oder Cucina Cosmoculinaria.
Zwischen solchen Lebensstationen und aktuellen Befindlichkeiten switcht Scheiderbauer im Buch hin und her. Wie im Film kippt man von einer Einstellung zur nächsten. Es sind aneinandergereihte kleine Aufsätze, in denen „zeitgeflochtene Jetzigkeiten“ geschildert werden, „Gereiftes kommt mit Frischem, Damaliges mit Gestrigem, und Erlebtes mit Imaginiertem zusammen“, bekundet der Autor selber im Vorwort. „Und ich hoffe, es gelingt zwischen den Zeilen eine Gegenwart herzustellen, die uns eine Gelassenheit gönnt, die nicht davon abhängt, was uns zufällt, sondern wie wir es aufnehmen,“ so eine wichtige Erkenntnis, die der Künstler weitergeben will.
Scheiderbauers Autobiografie ist ein wunderbar vor und zurück blendender, assoziativer und klarsichtiger Streifzug durch das eigene Leben und Werk, über Projekte und Freundschaften, über Kunst und Philosophie bis zum Zen Buddhismus. Spannend geschrieben wie ein Roman, enthält er auch humorige Schrägkeiten, wenn er beispielsweise erzählt, dass er bei ihm Hämorrhiden erfunden habe, nur um sich durch eine Operation vom Zivildienst drücken zu können, bei dem nur noch Jobs als Hundescheißeaufsammler im Wiener Stadtpark frei gewesen seien, hingegen bei Amnesty International und anderen interessanten Organisationen bereits alles vergeben war.
Für Scheiderbauer besteht das Sein im Jetzt. Im Minimalsatz „Ich Bin. I Am. Yo Soy. Io Sono.“ drücke sich letztlich das Bewusstsein aus. Und so heisst es auf Seite 239 der Autobiografie: „Und genau dieser Augenblick, dieses I AM – Wow, Ich Bin! - nicht gestern, nicht morgen, nicht Geschichte, nicht Name, nur Es – das Sein – ich bin das, I AM – diese Wahrnehmung, dieses Staunen ob dieser unglaublichen Tatsache, dass sich das Bewusstsein seiner selbst bewusst werden kann – war der Ausschlag, mich an dieses Buch zu wagen.“
Da „tOmi“ Scheiderbauer eben Künstler ist, der unter anderem mit dem Vorarlberger internationalen Kunstpreis ausgezeichnet wurde, kommen einem beim Lesen automatisch auch die Lebensaufzeichnungen von Christoph Schlingensief („So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung“) in den Sinn. Denn die beiden Autobiografien haben eine grosse Parallele: man erfährt eine Menge über die persönlichen Lebensphilosophien der Autoren sowie den zentralen Stellenwert, den die Kunst dabei einnimmt, und es sind beide Bücher mitreissende Hommagen an das Leben. Einen Unterschied hingegen gibt es in der Perspektive auf die Erkrankung. Für „tOmi“ Scheiderbauer ist die Erkrankung eine Art Aufmerksamkeitsgabe. Er benennt den Tumor selber als „Freund“. Und er führt mit diesem „Freund“ über Monate ein symbiothisches Zusammenleben, das letztlich in die Heilung mündet. Für Schlingensief hingegen ist die Krebsdiagnose ein schwerer Schicksalsschlag mit dem er hadert und den er nicht annehmen kann. Allerdings darf man anmerken, dass bei Schlingesief die Prognosen von vorneweg kaum einen Raum für Hoffnung offen liessen.
Anmerkung:
„ICH BIN“ ist das erste Buch des Künstlers. Das zweite ist aber bereits in Arbeit.
Thomas „tOmi“ Scheiderbauer befindet sich momentan auf einer Lesetour in Vorarlberg. Nächste Lesetermine sind im TIK Dornbirn (24. April, 19.00 Uhr) und die Johanniterkirche Feldkirch (25. April, 19.00 Uhr)
Thomas „tOmi“ Scheiderbauer:
ICH BIN – meine Freund:innen, der Tumor und die Kunst
Verlage: Tredition, Va Benes Radical Books, 2025
253 Seiten, Hardcover
ISBN: 13 - 978-3-384-37501-8