Sylvia-Sleigh-Retrospektive in der Kunsthalle St.Gallen

Die bisher umfassendste Retrospektive der Malerin Sylvia Sleigh (1916–2010) beinhaltet Arbeiten aus mehr als 60 Jahren künstlerischen Schaffens. Eine breitgefächerte Auswahl soll Sleighs Arbeit in ihrer Gesamtheit und Komplexität präsentieren. Neben Portraits werden in der Ausstellung mehrere Stillleben und Landschaften zu sehen sein, darunter die selten gezeigten Gemälde von Statuen in der Parklandschaft nahe dem Kristallpalast in London aus den 1950er Jahren.

Für die Kunst Halle Sankt Gallen ist es ungewöhnlich, die posthume Ausstellung einer Malerin zu zeigen, allerdings ist Sleigh heute eine interessante Position gerade für eine jüngere Künstlergeneration. Darüber hinaus lässt sich die liebevolle Aufmerksamkeit, die Sleigh in ihren Werken Textilien und dekorativen Details geschenkt hat, gut in den Kontext von St. Gallen und seiner weltweit bekannten Textiltradition einbetten. Für das Ausstellungsdesign ist Martin Leuthold, der renommierte Textildesigner und Art Director von Jakob Schlaepfer, St. Gallen, verantwortlich. Mit einer besonderen Inszenierung wird er diesen Aspekt in Sleighs Arbeit unterstreichen und der Retrospektive den für die Kunst Halle speziellen Projektcharakter verleihen.

Sylvia Sleigh wurde in Wales geboren und lebte seit 1961 in den Vereinigten Staaten. Als der Feminismus in den frühen 70ern in den USA aufkam, etablierte sich Sleigh, die sich schon immer der Figuration gewidmet hatte, als herausragende Künstlerin, insbesondere durch das Malen von Portraits männlicher und weiblicher Modelle – teils als Akte, teils bekleidet. Die Modelle fand sie unter Schriftstellern, Schauspielern, Musikern und ihren Künstlerkollegen: So sind ihre Gemälde auch eine eindrückliche Abbildung der dynamischen Kunstszene der 1960er und 1970er Jahre. In ihren Portraits kombinierte sie kühne Sinnlichkeit mit persönlichem Feminismus, der sie direkt in einen Diskurs über Macht, Repräsentation und Gender einbindet. Dieser Diskurs, der als eine Erkundung der grundlegenden Richtlinien der traditionellen, akademischen Malerei betrachtet werden sollte, bedingt auch den Bruch mit einer offenbar festgefahrenen Machtbeziehung zwischen Künstler und Subjekt.

Obwohl Sleighs Arbeiten und ihre Motive durch einen zurückhaltenden Konservatismus charakterisiert sind – da sie vorwiegend Portraits und Modellstudien anfertigte – so beinhalten sie doch verschiedene radikale Aussagen: Sleigh bringt ihre Akte häufig in Verbindung mit der grossen Tradition der Malerei – zum einen in Bezug auf die andauernde Gültigkeit und Ambition der Figuration und zum anderen als geistreiche und ironische Erinnerung an Werte, die abgelehnt oder in Sleighs Fall absichtlich auf den Kopf gestellt wurden (Linda Nochlin, Bathers, Bodies, Beauty: The Visceral Eye (2003)). Von besonderer Wichtigkeit ist Sleighs Einsatz für eine grössere Anerkennung von Künstlerinnen und eine Verbesserung ihrer finanziellen Situation sowie ihr Engagement in den 70er Jahren für New Yorker Galerien, die von Künstlern betrieben wurden.

Erst seit Kurzem werden Sylvia Sleighs Arbeiten in eine wachsende Zahl von Ausstellungen einbezogen - nicht zuletzt aus dem Grund, dass erst im letzten Jahrzehnt grössere Ausstellungen über feministische Kunst realisiert wurden. Ein Beispiel ist ihre Teilnahme an der einflussreichen Wanderausstellung "WACK! Art and the Feminist Revolution" im Jahr 2007. Die Retrospektive in der Kunst Halle Sankt Gallen ist der zweite Halt einer Wanderausstellung, die in Koproduktion mit dem Kunstnernes Hus, Oslo, dem Musée d’Art Contemporain de Bordeaux CAPC und der Tate Liverpool entwickelt wurde. Sie soll dazu beitragen, Sleighs Werk auch in Europa eine grössere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und sie als bedeutende Position der jüngsten Kunstgeschichte einem breiten Publikum vorzustellen.

Sylvia Sleigh
6. Oktober bis 2. Dezember 2012