Sechzig Jahre nach ihrer Entstehung widmet die Kunsthalle Bremen der bedeutenden Sylvette-Serie von Pablo Picasso erstmals eine Ausstellung. Im Frühjahr 1954 lernte Picasso die junge Französin Sylvette David in Vallauris kennen. Die damals 19-Jährige verkörperte das Schönheitsideal ihrer Zeit und inspirierte den Maler zu einem vielseitigen Werkzyklus.
Leihgaben aus international renommierten Museen und zahlreichen Privatsammlungen sind zusammengetragen worden; viele von ihnen werden erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Historische Fotografien dokumentieren in der Ausstellung die Begegnung des weltberühmten Malers und seiner bezaubernden Muse. Zahlreiche Arbeiten zeugen darüber hinaus von Picassos Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema Maler und Modell. Die Darstellungen insbesondere von Picassos Lebensgefährtinnen Françoise Gilot und Jacqueline Roque rahmen die Sylvette-Werkreihe chronologisch.
Im Zentrum der Ausstellung "Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell", die vom 22. Februar bis zum 22. Juni 2014 in der Kunsthalle Bremen zu sehen sein wird, steht Picassos Porträtserie von Sylvette David (*1934). Der Maler lernte die damals 19-Jährige in Vallauris, ein für seine Keramik und kunsthandwerkliche Tradition bekanntes Dorf an der Côte d’Azur, kennen. Sylvette inspirierte den Maler zu einer umfangreichen und vielseitigen Porträtserie.
Hochgewachsen, blond und mit modischer Pferdeschwanzfrisur verkörperte sie das Schönheitsideal der Zeit und das sich wandelnde Frauenbild der 1950er-Jahre. Der beginnende Jugendkult erhob die natürlich-unschuldige, aber verführerische Kindfrau zum Ideal und feierte Stars, wie die junge Brigitte Bardot mit ihren üppigen Kurven und wippendem Pferdeschwanz, als ihr Idol. "(Sie) glich (mir) wie ein Ei dem anderen", schrieb Bardot in ihrer Biografie über sich und Sylvette David, deren natürliche Schönheit und anmutige Mädchenhaftigkeit die Menschen begeisterte.
Von April bis Juni 1954 experimentierte Picasso vor dem Modell in unterschiedlichen Stilrichtungen und Techniken. Der damals 73-jährige Künstler schuf mit Pinsel und Zeichenstift sowohl realistische als auch abstrakt-kubistische Darstellungen desselben Bildgegenstandes. Zugleich entstanden bemalte Faltplastiken aus Metall, die den Beginn einer neuen skulpturalen Entwicklung markieren. Mit seiner innovativen Verbindung von Skulptur und Malerei überschritt Picasso die Grenzen zwischen den Gattungen. Im Kontext des Sylvette-Zyklus griff der Maler insbesondere auf die Grisailletechnik zurück. Schon im Mittelalter nutzen Künstler die Malerei in Graustufen, um skulpturale Effekte zu erzielen. Das kriegskritische Historienbild "Guernica" (1937) ist ein eindrucksvolles Bespiel von Picasso in dieser Technik.
Erstmals wird der Sylvette-Serie von Pablo Picasso 60 Jahre nach ihrer Entstehung eine eigene Ausstellung gewidmet. Die Werkgruppe, bestehend aus Gemälden, Zeichnungen, Metallskulpturen und Keramiken, umfasst knapp 60 Arbeiten, wovon die Hälfte in der Kunsthalle Bremen gezeigt wird. Insgesamt sind rund 220 Werke in der Ausstellung zusammengetragen worden, darunter über 140 Arbeiten von Pablo Picasso. Bedeutende Leihgaben von Museen aus Europa, Israel, Japan, den USA sowie aus zahlreichen Privatsammlungen werden der Öffentlichkeit erstmals präsentiert.
Den Sylvette-Werkzyklus von Picasso begleiten zahlreiche Fotografien von David Douglas Duncan, Alexander Liberman, Arnold Newman, François Pages, Edward Quinn und André Villers, die die Begegnung zwischen dem berühmten Künstler und seinem Modell dokumentieren. Die ausgestellten Fotografien und Kunstwerke geben faszinierende Einblicke in Picassos Schaffensprozess sowie in den Zeitgeist, die Mode und das Leben an der Côte d’Azur der 1950er- Jahre. Chronologisch rahmen Darstellungen von Françoise Gilot und Jacqueline Roque die Sylvette-Serie, die vor beziehungsweise nach Picassos Begegnung mit dem Modell Sylvette seine Lebensgefährtinnen und Modelle waren.
Anhand der Vielzahl der präsentierten Bildnisse und der Variation ein und desselben Motivs offenbart sich die Schöpfungskraft des Künstlers. Neben dem seriellen Charakter spielt in der Ausstellung auch die vielschichtige Beziehung von Maler und Modell eine zentrale Rolle. Bereits vor seiner Begegnung mit Sylvette setzte er sich mit diesem Sujet mehrfach auseinander. Picassos Arbeiten aus den 1960er-Jahren zum Thema Maler und Modell reflektieren das komplexe Verhältnis des Künstlers zu den Frauen, zum Altern und zum kreativen Akt.
Der zentrale Ausgangspunkt der Ausstellung ist das Gemälde "Sylvette" aus dem Bestand der Kunsthalle Bremen. Schon 1955 – ein Jahr nach seiner Entstehung – erwarb die Kunsthalle Bremen dieses bedeutende Werk aus der Serie. Das in Grisailletechnik gearbeitete Bild kam über den Bremer Kunsthändler Michael Hertz in die Sammlung. Hertz hatte von Picassos Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler (Galerie Louise Leiris) die Exklusivrechte für den Verkauf des grafischen OEuvres des Künstlers in Westdeutschland erhalten. Voller Begeisterung bekundete der Kunsthändler sein Kaufinteresse bei Kahnweiler am Sylvette-Porträt vom 3. Mai 1954.
Anfangs lehnte Picasso den Verkauf ab, änderte aber später wieder seine Einstellung. Hertz bekam drei Monate Zeit, um in Deutschland einen Käufer für sein bevorzugtes Gemälde zu finden. Es war schließlich Günter Busch, der damalige Direktor der Kunsthalle, der das Werk erwarb. Noch im selben Jahr wurde es an das Haus der Kunst in München ausgeliehen, wo es im Rahmen der ersten großen Picasso-Retrospektive in Deutschland präsentiert wurde, die anschließend auch nach Köln und Hamburg reiste.
Katalog: "Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell" (deutsch / englisch), hrsg. von Christoph Grunenberg und Astrid Becker, Texte u. a. von Elizabeth Cowling, Markus Müller, Diana Widmaier Picasso sowie ein Interview mit Sylvette David. 300 Seiten, ca. 270 Abbildungen, Prestel Verlag, erhältlich im Museumsshop der Kunsthalle Bremen (EUR 32,-) und im Buchhandel (EUR 49,95).
Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell
22. Februar bis 22. Juni 2014