Suspiria (2018)

Eine junge Amerikanerin wird in den 1970er Jahren an einer Berliner Tanzschule aufgenommen, glaubt aber bald, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. - Luca Guadagninos bildstarke, aber in ihrer wilden Mischung auch verstörende Neuverfilmung von Dario Argentos klassischem Horrorfilm ist kein simples Remake, sondern vielmehr eine anspielungsreiche Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau ebenso wie mit der deutschen Geschichte.

An Lars von Triers "Nymphomaniac" lässt "Suspiria denken, wenn ein Insert auf die Gliederung des Films in sechs Kapitel und einen Epilog hinweist und eine junge Frau Zuflucht in der Wohnung eines Psychotherapeuten sucht. Sie fühlt sich von den drei Leiterinnen der Tanzschule, in der sie studiert, verfolgt und erzählt, dass sie Hexen seien.

Parallel dazu demonstrieren vor der Wohnung Menschen für die Freilassung der RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof, denn "Suspiria" spielt während der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer im Herbst 1977. Zudem verlegt Luca Guadagnino die Handlung des Originals, das bezeichnenderweise 1977 entstand, von Freiburg in die geteilte Stadt Berlin und spielt auch immer wieder durch die nahe Mauer mit dieser Teilung.

Nicht genug des historisch-politischen Subtextes kommt auch noch dazu, dass der Psychotherapeut Josef Klemperer, dessen Nachname an den Romanisten Victor Klemperer erinnert, der in seinen Tagebüchern akribisch sein Leben und die Ausgrenzung als protestantischer Konvertit jüdischer Herkunft unter dem NS-Regime dokumentierte, während der NS-Zeit seine Frau verlor.

Der entschieden weibliche Aspekt wird wiederum dadurch betont, dass in der Tanzschule nur Frauen aufgenommen werden, denen dort auch Unterkunft angeboten wird, und auch die Rolle Klemperers mit Tilda Swinton von einer Frau gespielt wird. Die Britin beweist hier ein weiteres Mal ihr phänomenales Verwandlungstalent, wenn sie daneben auch in die Rollen der beiden Leiterinnen der Tanzschule Madame Blanc und Mutter Helena Markos schlüpft.

Die Grundstruktur der Handlung übernimmt Guadagnino von Argentos Klassiker, wenn er ins Zentrum die junge Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) stellt, die an dieser Berliner Tanzschule, an der seltsame Dinge vorgehen, studieren will. Aber ganz anders als Argento lädt er seine mit 152 Minuten fast eine Stunde längere Neuinterpretation – von Remake kann man angesichts der Unterschiede kaum sprechen – nicht nur mit historischen, sondern auch mit psychologischen Elementen auf.

Keinesfalls ein Zufall ist es da auch, dass man in der Wohnung des Psychotherapeuten ein Exemplar von C. G. Jungs "Die Psychologie der Übertragung" sieht. Da holen einerseits Susie, die aus einer streng mennonitischen Familie stammt, immer wieder Erinnerungen an den Tod ihrer Mutter ein, andererseits scheint ihr erstes Vortanzen verheerende Auswirkungen auf den Tanz ihrer Kollegin Sara in einem anderen Raum zu haben.

Immer wieder spielt Guadagnino auch mit Spiegel und bringt das Motiv der geteilten und doppelten Welt nicht nur mit dem geteilten Berlin ins Spiel, sondern auch mit einem Kellergewölbe unter der Tanzschule, in dem scheinbar okkulte Treffen stattfinden.

Vom weiblichen Konkurrenzkampf wird ebenso erzählt, wenn sich drei Frauen um die Leitung der Tanzschule streiten und Susie um die Hauptrolle im neuen Tanzstück kämpft, wie von der Mutterrolle der Frau, auf die schon im einleitenden Insert "Eine Mutter ist eine Frau, die alle anderen ersetzen kann, selbst aber unersetzbar ist" hingewiesen wird.

Entschlüsselt werden müsste hier wohl auch die Bedeutung der Farbdramaturgie. Denn konsequent wird der in gedeckten Farben getauchten Wohnung Klemperers und den kalten und tristen Straßenszenen, in denen es trotz der zeitlichen Situierung im Oktober immer wieder heftig schneit, das Rot der Kostüme der Tanzkompagnie und später auch des Blutes gegenüber: Geht es hier um den Gegensatz von männlicher Biederkeit und weiblicher Leidenschaft?

Vom realistischen Beginn entwickelt sich "Suspiria", in den auch immer wieder kurze Erinnerungsbilder oder Wahnvorstellungen einfließen, dabei zunehmend zu einem blutigen Hexenhorror. Das erinnert dann einerseits ans Finale von Roman Polanskis "Rosemary´s Baby", andererseits im Motiv der Initiation einer neuen "Mutter" auch an "Hereditary" und in der Abgefahrenheit ist auch Darren Aronofskys "Mother!" nicht fern - freilich mit dem Unterschied, dass Guadagnino versucht den Hexenhorror mit dem Horror der deutschen Geschichte in Beziehung zu setzen: Lässt sich die Gewalt in der Welt rational erklären oder gibt es dahinter doch Abgründiges und Okkultes, das sich der Erkenntnis und Erklärung entzieht?

Und dann geht es auch noch um Schuld und Scham und wie dies das Leben beeinflusst, wenn nicht nur Susie von ihrer toten Mutter, sondern auch Klemperer von der Erinnerung an seine Frau, die vom NS-Regime ermordet wurde, eingeholt wird.

Alles andere als leicht macht es Guadagnino dem Zuschauer mit seinem anspielungsreichen und komplexen Film, aber nicht nur die Bildgewalt, sondern auch seinen Mut muss man bewundern. Statt nämlich den einfachen und sicheren Weg eines klassischen Remakes zu gehen, riskiert er alles, fordert den Zuschauer mit einem Film, der mit seiner Fülle – oder auch Überfrachtung – an psychologischen und historischen Themen nicht leicht zu fassen und leichter zu hassen als zu schätzen ist. – In einer Filmlandschaft, in der kaum jemand etwas wagt, können solche Kühnheit und Wagemut freilich gar nicht genug geschätzt werden.

Wird am Do 27.12. um 19.30 Uhr am Spielboden Dornbirn gezeigt (deutsch-englisches O.m.U.)

Trailer zu "Suspiria"