Susanna Fritscher im Theseustempel

In Fortsetzung der Reihe von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst im Theseustempel wird heuer eine Arbeit der Künstlerin Susanna Fritscher gezeigt. Die Ausstellung wurde vom Kunsthistorischen Museum in Auftrag gegeben und von der Künstlerin als immersives Environment eigens für die einzigartige Architektur des Theseustempels kreiert. Die Arbeit besteht aus einem Parcours aus tausenden durchscheinenden Silikonfäden, die sich vom Boden bis an die Decke erstrecken.

Die zwischen bemalten, die geometrischen Muster des neoklassizistischen Interieurs des Tempels widerspiegelnden Stahlstrukturen gespannte Installation scheint ständig in Bewegung zu sein. Eine sanft vibrierende Schwingung, die vom Luftstrom angeregt und durch das einfallende Tageslicht akzentuiert wird, scheint ihr einen eigenen Atem zu verleihen. Gleich beim Betreten des Werks verändert sich unsere Wahrnehmung des Raums, wechselt ständig während wir ihn durchschreiten und schärft das Bewusstsein für unsere eigene physische Präsenz.

Die Wirkung von Fritschers Installation ist subtil, verhalten und kontemplativ. Das Werk reagiert auf die Intimität des Gebäudes, das milchige Licht und die Fragilität seiner eigenen Materialität, indem es Außen- und Innenwelt ineinander faltet. Es bietet keine Erzählung an, sondern bevorzugt eine offene Beziehung zu den Besucher_innen, deren Präsenz und Bewegung dem Werk seine Bedeutung geben. Es macht, was alle großen Kunstwerke tun: Es belohnt uns für unsere geduldige Auseinandersetzung mit ihm. Die vom Spätfrühling bis in den Sommer und Frühherbst ausgestellte Installation wird sich im Wandel der Jahreszeiten und je nach wechselndem Stand der Sonne verändern, wenn die Tage zunächst länger und dann wieder kürzer werden.

Susanna Fritscher lebt seit 1983 in Frankreich und arbeitet seit fünfundzwanzig Jahren in einem Atelier in Montreuil, einem Vorort im Osten von Paris. Dieses neue Werk ist das jüngste in einer Reihe verwandter Installationen in großem Maßstab, die die Künstlerin in den letzten Jahren entwarf. Es schließt an Präsentationen im Musée d’arts de Nantes (2017), dem Louvre Abu Dhabi (2019–2021) und dem Centre Pompidou-Metz (2020) an. Einige dieser Projekte, wie etwa der Beitrag zur 14. Biennale von Lyon 2017, beinhalteten zusätzlich Klang- und Bewegungselemente.

Die Ausstellung ist die erste institutionelle Präsentation Susanna Fritschers in Österreich. Sie wurde von Jasper Sharp kuratiert und von den Contemporary Patrons des Kunsthistorischen Museums großzügig unterstützt.

2012 begann das Kunsthistorische Museum, den Theseustempel im Wiener Volksgarten für eine Ausstellungsreihe zu nutzen. Der vom kaiserlichen Hofarchitekten Pietro Nobile zwischen 1819 und 1823 errichtete Tempel war ursprünglich als Rahmen und Präsentationsort für ein einziges zeitgenössisches Kunstwerk gedacht: Antonio Canovas monumentale Gruppe Theseus besiegt den Kentauren. Fast siebzig Jahre lang stand diese beeindruckende Skulptur aus weißem Marmor allein im Theseustempel, erst 1890 wurde sie in das neu errichtete Kunsthistorische Museum überführt, wo sie sich noch immer befindet. Mit dieser Ausstellungsreihe entspricht der Theseustempel nun erneut seiner ursprünglichen Funktion als Ort, an dem bedeutende Werke eines zeitgenössischen Künstlers gezeigt werden.

Im Rahmen der Ausstellungsreihe waren bisher Werke von Ugo Rondinone (2012), Kris Martin (2012), Richard Wright (2013), Edmund de Waal (2014), Susan Philipsz (2015), Ron Mueck (2016), Kathleen Ryan (2017), Felix Gonzalez-Torres (2018) und Maurizio Cattelan (2019) zu sehen.

Geschichte des Theseustempel

Der Theseustempel wurde 1819–1823 von Pietro Nobile (1774–1854, führender Architekt des Spätklassizismus in Wien) im Rahmen der Neugestaltung des Volksgartens erbaut. Auftraggeber war Kaiser Franz I. Die neue Gestaltung war nötig geworden, nachdem die Franzosen 1809 bei ihrem Abzug aus Wien die Bastei vor der Hofburg gesprengt hatten. Ursprünglich als Privatgarten für die Mitglieder der kaiserlichen Familie gedacht, wurde die Anlage später auf Vorschlag der Hofgartenverwaltung der erste öffentlich zugängliche Park in Hofbesitz. Seit 1825 ist die Bezeichnung "Volksgarten" gebräuchlich.

Bei dem spätklassizistischen Bauwerk handelt es sich um eine verkleinerte Nachbildung des Theseions in Athen, die speziell für die Aufstellung der Figurengruppe Theseus besiegt den Kentauren von Antonio Canova, eine der bedeutendsten klassizistischen Monumentalskulpturen, gebaut wurde. Antonio Canova (1757–1822, ein Hauptvertreter des italienischen Klassizismus) wird auch die Idee zur Gestaltung des Theseustempels in dieser Form zugeschrieben. 1890 wurde die Theseusgruppe im Rahmen der Errichtung des Kunsthistorischen Museums in den großen Stiegenaufgang des Neubaus gebracht, wo sie noch heute zu sehen ist.

In der unter dem Theseustempel liegenden Krypta, die durch einen seitlich liegenden Eingang in Sarkophagform betreten werden konnte (er ist heute nicht mehr erhalten), war ursprünglich ein Teil der Antikensammlung des österreichischen Kaiserhauses untergebracht. Ab 1901 wurde die sogenannte Cella (der Innenraum) des Theseustempels zunächst zur Ausstellung von Funden aus Ephesos herangezogen (heute im Ephesos Museum in der Neuen Burg), später diente sie als Ort für Kunstausstellungen der Akademie der bildenden Künste. Seit 1992 wird sie durch das Kunsthistorische Museum genutzt.

Mit der Generalsanierung durch die Burghauptmannschaft in den Jahren 2008 bis 2011 wurde unter Einbeziehung des Bundesdenkmalamtes dem Theseustempel sein ursprüngliches Erscheinungsbild in polierter Bleiweißfassung zurückgegeben. Dank der neu installierten Beleuchtung des Gebäudes fügt sich der Theseustempel nun auch sehr ansprechend in die abendliche Gebäudekulisse des Hofburg- und Ringstraßenensembles ein. In den Wintermonaten 2014/15 wurde die kassettierte Gewölbedecke des Theseustempels aufwendig saniert. Die Decke konnte so wieder in den Originalzustand zurückgeführt werden.

Vor dem Theseustempel ist die Bronzestatue Jugendlicher Athlet von Josef Müllner (geschaffen 1921) zu sehen.

Susanna Fritscher
im Theseustempel
3. Mai bis 3. Oktober 2021