Surrealistischer Bilderrausch: Die Filme von Alejandro Jodorowsky

8. August 2016 Walter Gasperi
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Mit "El Topo" und "Montana Sacra" wurde Alejandro Jodorowsky in den frühen 1970er Jahren zum Kultregisseur, doch in den folgenden Jahrzehnten scheiterten mehrere Projekte, ehe dem chilenischen Multitalent 2013 mit "La danza de la realidad" in Cannes das Comeback gelang. Beim heurigen Filmfestival von Locarno erhält Jodorowsky einen Ehrenleoparden.

Der 1929 in Chile als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Ukraine geborene Alejandro Jodorowsky zählt zu den großen Außenseitern der Filmgeschichte. Seine Filme sind einerseits surrealistisch, arbeiten andererseits aber auch mit Elementen des Genrekinos, mischen Buddhismus mit Science-Fiction-Zitaten und entfalten einen Bilderrausch, der auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung kaum zu dechiffrieren ist.

Schon früh interessierte er sich für Poesie und das Kino. 1953 ging er nach Paris, um Pantomime zu studieren und gründete mit Fernando Arrabal und Roland Topor die postsurrealistische Performance-Gruppe "Panique". 1957 drehte er mit "La cravate", einer 20-minütigen Adaption von Thomas Manns Novelle "Die vertauschten Köpfe" seinen ersten Kurzfilm, 1967 folgte mit "Fando y Lis" sein erster langen Spielfilm. Im Produktionsland Mexiko sorgte diese freie Verfilmung eines Theaterstücks von Fernando Arrabal, in dem in surrealen Bildmontagen von der Reise eines jungen Paares in das verheißene Land Tar erzählt wird, sogleich für einen Skandal.

Der Italo-Western ist dagegen die Grundlage von "El Topo" (1970), in dessen Zentrum ein schwarz gekleideter Revolverheld steht. Doch die Reise durch die mexikanische Wüste, die 1970 das Publikum nicht nur durch Sex- und Gewalteinlagen, sondern mehr noch durch den Bilderrausch verstörte, aber auch perfekt in die Hippie-Ära passte, wird bei Jodorowsky auch zur Suche nach Sinn und Erlösung.

Drei Jahre später trieb er diesen Bildersturm und die Sinnsuche in "Montana Sacra" (1973) noch weiter. In einer von Gewalt und Pervertierung der Religion geprägten Welt schickte er einen Dieb auf Sinnsuche zu einem Heiligen Berg, doch schließlich wird der Protagonist erkennen müssen, dass er die Erleuchtung nur im eigenen Selbst finden kann.

Zum großen Projekt wurde in den folgenden Jahren die Verfilmung von Frank Herberts Science-Fiction-Roman "Dune – Der Wüstenplanet". Zehn Stunden lang sollte dieser Film werden, Orson Welles, Salvador Dali, Mick Jagger und Gloria Swanson sollten mitspielen, Pink Floyd und die französische Experimentalgruppe Magma die Musik beisteuern und der "Alien"-Schöpfer H.R. Giger für die Ausstattung verantwortlich zeichnen.

Jodorowoskys großer Wurf sollte dieser Film werden, doch vor Drehbeginn zogen sich die Finanziers von dem Projekt zurück. – Kein Glück brachte dann dieser Stoff auch David Lynch, der mit dieser Romanverfilmung sowohl kommerziell als auch künstlerisch sein größtes Fiasko erlebte.

Still wurde es für vorerst 14 Jahre um Jodorowsky. Erst 1989 gelang ihm mit dem sich an den Filmen Dario Argentos orientierendem Horrorfilm "Santa Sangre" ein Comeback und schon im folgenden Jahr entstand "The Rainbow Thief", doch weitere Projekte scheiterten. Zunehmend schwierig wurde es für den Chilenen Geldgeber für seine höchst eigenwilligen filmischen Visionen zu finden, sodass er sich noch stärker auf das Theater und die schon in den 1960er Jahre begonnene Tätigkeit als Comicautor verlegte. Zusammen mit dem Zeichner Moebius verfasste er die bisher 13-bändige Comic-Serie "L´Incal - John Difool", für die das von Moebius gezeichnete Storyboard für "Dune" die Grundlage bildete.

Aber auch als Romanautor und Lyriker sowie als Erfinder der "Psychomagie", bei der Alchemie und Psychoanalyse gemischt werden, machte sich Jodororowsky im französischen und spanischen Raum einen Namen. Zur Psychomagie schrieb er auch mehrere Bücher, gab Unterricht und hielt Vorträge unter dem Titel "Wie kann ich euch nützlich sein?"

Ein Comeback als Filmemacher gelang ihm aber erst 2013 – im Alter von 84 Jahren – mit "La danza de la realidad", in dem er mit seinen Söhnen und seiner Ehefrau in gewohnt surrealistischer Erzählweise seine eigene Familiengeschichte aufarbeitete. Ins Kino fand dieser Film den Weg freilich nicht mehr, wurde nur auf Festivals gezeigt, wo er beträchtliche Beachtung fand. Dennoch scheint die Produktivität des in Paris lebenden Chilenen ungebrochen, stellte er doch trotz seines fortgeschrittenen Alters drei Jahre nach "La danza de la realidad" mit "Poesía sin fin" einen weiteren Film fertig.

Trailer zu "Montana Sacra"