Surfaces - Neue Fotografie aus der Schweiz

Ein Merkmal der aktuellen Fotografie ist die Beschäftigung mit Oberflächen und die Befragung ihrer vermeintlichen Glätte und Undurchdringlichkeit. Die Schweizer Fotoklassen an der Zürcher Hochschule der Künste, der ECAL in Lausanne und der HEAD in Genf bildeten in den letzten Jahren eine Reihe von Künstlern und Künstlerinnen aus, die sich neben inhaltlichen vor allem mit medienspezifischen Frage-stellungen auseinandersetzen.

Hat sich die Fotografie durch den digital turn weiterentwickelt? Wie verändert sich unser Bezug zum Ausstellungsobjekt, wenn wir im Alltag nicht mehr Abzüge in Fotoalben, sondern Files auf Screens anschauen? Was geschieht perspektivisch, wenn immer neue Applikationen und Plattformen das Private öffentlich und das Öffentliche privat werden lassen? Sind Oberflächen gar die wahren Inhalte unserer Zeit? Und können aus der Perspektive der Kunst Schlussfolgerungen für heutige und zukünftige Produktionen von fotografischen Werken gezogen werden?

"Surfaces – Neue Fotografie aus der Schweiz" zeigt mit Ankäufen und Schenkungen aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur, wie Sammlungsobjekte in teils engem Zusammenspiel mit Künstlerinnen und Künstlern auch nach dem Übertritt in den Museumskontext aktualisiert und in neue Formen überführt werden.

Flüssige Werkformen erzeugen eine Vielzahl möglicher Zustände und neue diskursive Deutungen. Die 2010 erworbene Installation "Prussian Summer" von Cédric Eisenring / Thomas Julier etwa ist nicht nur in unterschiedlichen Zusammenhängen im Fotomuseum Winterthur präsentiert worden, sondern hat dabei auch ihre Textur stets verändert. Das Werk existiert als gerahmte Bildreihe (vgl. die Ausstellung Karaoke, 2009), als Box mit rund einhundert gebundenen Themenheften sowie in mehrere Varianten von farbig und S/W gehaltenen Publikationen, die 2013 im Rahmen der Veranstaltung 102 vorgestellt wurden.

Derselbe Inhalt nimmt in Surfaces eine weitere neue Form an, diesmal als farbreduzierte und schlichte 1:1-Reproduktion. Mit jedem veränderten und erweiterten "Zustand" löst sich der Begriff des fotografischen Originals Schritt für Schritt auf: Der Kern des Werks ist das flüssige und dehnbare Image und nicht länger die definierte und fixierte Form. Auch die mit Tusche überarbeiteten, schwarzweissen Siebdrucke von Dominique Koch widersetzen sich der Vorstellung von Fotografie als statischem Zeitzeugnis. Dokumentarische Motive erscheinen in Kochs Arbeiten manipuliert und entfremdet: Ganze Szenen sind ausradiert, an ihre Stelle treten hypothetische Sätze und Textfragmente.

Auf diese Weise öffnet sich der Interpretationsspielraum des Dargestellten, und die Bilder rufen eine Skepsis hervor, die gegenüber analogen wie digitalen Bildbearbeitungen angebracht ist. Sehen wir in Fotografien Abbilder von Wirklichkeiten oder wandelbare Oberflächen? Beni Bischof beantwortet diese Frage indirekt anhand von amerikanischen Sportwagen der 1980er-Jahre. Mit grobem digitalem Werkzeug und der Lust an der Verformung macht er sich daran, die Abbildungen aus Zeitschriften und Magazinen bildnerisch aufzupolieren, sie zu versiegeln und am Ende als metallische Fetischobjekte zu "Handicapped Cars" (2009) werden zu lassen.

In den archaischen Fotokameras, die Taiyo Onorato / Nico Krebs im Jahre 2012 gebaut haben, zeigt sich eine prägnante schöpferische Kraft. Ein alter Schemel mit Hohlraum dient bei "Voodoo" (2012) als Balgen, ein Objektiv sowie ein Rückteil für Filme ermöglichen es, mit dem Holzkörper tatsächlich Fotografien herzustellen. Ausgestellt in einer wertvollen Vitrine, mit Samtboden ausgelegt, wirkt das massive Gerät in seiner groben Form wie aus einer anderen Zeit. Zugleich stellt sich das künstlerische Voodoo-Werkzeug mithilfe haptischer Objekte und analoger Technologie gegen das Immaterielle in der heutigen Fotografie.

Mit Werken von Beni Bischof, Stefan Burger, collectif_fact, Cédric Eisenring / Thomas Julier, Matthias Gabi, Thomas Galler, Dominik Hodel, Dominique Koch, A.C. Kupper, Adrien Missika, Nils Nova, Taiyo Onorato/Nico Krebs, Shirana Shahbazi, Jules Spinatsch und Herbert Weber.


Surfaces
Neue Fotografie aus der Schweiz
8. März bis 24. August 2014