18. Dezember 2007 - 3:33 / Walter Gasperi / Filmriss
logo filmriss

Vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen Chinas und der Welt erzählt Lou Ye eine breit angelegte, sich fast über 20 Jahre spannende Liebesgeschichte: Ein in der Schilderung der Aufbruchsstimmung der chinesischen Studenten der späten 80er Jahre kraftvolles und emotional mitreißendes, in der Darstellung der folgenden Niedergeschlagenheit und Orientierungslosigkeit aber auch lähmendes Generationenporträt.

Mit "Suzhou River" hat Lou Ye vor sieben Jahren auf sich aufmerksam gemacht. Radikal subjektiv, fern von jedem Bezug zur chinesischen Gesellschaft legte er eine an Hitchcocks "Vertigo" und Robert Montgomerys "The Lady in the Lake" erinnernde Mischung aus Film noir und Liebesgeschichte vor. – Die chinesische Regierung hatte mit diesem poetischen Film aber keine Freude und verhängte mit dem Vorwurf des "Subjektivismus" zwei Jahre Berufsverbot über den 1965 geborenen Chinesen.

Noch schlimmer scheint es Lou Ye, der der so genannten "Sechsten Generation" der chinesischen Filmemacher angehört, nun mit seinem vierten Spielfilm zu gehen. Nicht wegen der Thematisierung der Studentenbewegung von 1989 und ihrer Niederschlagung, sondern vielmehr wegen zahlreicher sehr freizügiger Sexszenen soll er nun für fünf Jahre keine Filme drehen dürfen.

Für westliche Kinozuschauer zeigt Ye nichts Besonderes, für Chinesen dürfte es freilich ein Tabubruch sein, mit welcher Offen- und Direktheit das Lebensgefühl der Jugendlichen der späten 80er Jahre, ihre Lust auf (westliche) Zigaretten und Alkohol, auf Musik und Party und natürlich auch auf Sex geschildert wird.

Im Mittelpunkt steht die junge Yu Hong (Hao Lei), die 1987 von einer nordchinesischen Grenzstadt zum Studium nach Bejing kommt. Fremd fühlt sie sich zunächst in der Millionenstadt, leidet unter der Trennung von ihrem Freund, verliebt sich dann in den politisch aktiven Studenten Zhou Wei (Guo Xiaodong). Ein Auf und Ab der Beziehung folgt, voller Glück aber auch mit leidvollen Szenen und Ye versetzt den Zuschauer in die Perspektive Yus, indem er sie mit ihrem Tagebuch entnommenen Voice-Over-Kommentaren einerseits über das Geschehen reflektieren und andererseits in ihre Psyche blicken lässt.

Eingebettet wird diese Liebesgeschichte in die Entwicklung der Studentenbewegung. Mit einer beweglichen Handkamera, die durch die Gänge und in die Zimmer des ziemlich heruntergekommenen Studentenheimes den Figuren folgt, ihnen beim gemeinsamen Essen oder bei Parties zuschaut und auch bei Sexszenen lange und hautnah dran bleibt, vermittelt Lou Ye, der hier wohl auch autobiographische Erfahrungen verarbeitet, emotional mitreißend und dynamisch das Gefühl des sexuellen und politischen Aufbruchs. – In nichts unterscheidet sich "Summer Palace" hier von der Stimmung, die in vielen europäischen Filmen der 60er Jahre herrscht.

Zum Bruch in der Beziehung und der Liebesgeschichte – und gleichzeitig auch im Film - kommt es aber mit der Niederschlagung der Studentenbewegung im Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz. Tote zeigt Ye keine, doch, dass Schüsse im Off lassen ebenso die TV-Bilder der Ereignisse mit den Toten und dem einzelnen Studenten, der einen Panzer aufhalten will, im Kopf des Zuschauers aufsteigen, wie eingeschnittene TV-Archivbilder, die die Authentizität des Gezeigten belegen sollen.

Auch in der Folge wird Ye mit TV-Bildern immer wieder die private Geschichte, die gleichzeitig das Porträt einer ganzen Generation ist, mit den weltpolitischen Ereignissen, mit dem Fall der Berliner Mauer (November 1989), der Auflösung der Sowjetunion (1981), dem Anschluss Hongkongs an China (1997) verknüpfen. Diese politischen Ereignisse bleiben aber – im Gegensatz zum Massaker am Tiananmen-Platz - bewusst Hintergrund. – Das Leben des Individuums wird davon kaum mehr beeinflusst. In "Tiananmen" freilich spiegelt sich die Wende im Leben der Protagonisten: Nicht nur ein politischer Traum zerbrach hier, sondern auch ihre Lebensentwürfe, ihre Leidenschaft, ihre Lebenslust.

Nach diesem Frühjahr 1989 ist nichts mehr wie früher und auch "Summer Palace" wandelt völlig sein Gesicht. Wenn sich das einstige Paar aus den Augen verliert, Yu Hong ihr Studium abbricht und zurück in die chinesische Provinz und Zhou Wei nach Berlin geht, dann zerfleddert auch der Film, dessen Rhythmus nun ruhiger wird und im langsamen Tempo die Stagnation, Niedergeschlagenheit und Orientierungslosigkeit der Figuren vermittelt. Weil innere Lähmung aber so schwer packend darzustellen ist, sind auch die 140 Filmminuten nicht frei von Längen und erst in der intimen Schlussszene, wenn die auseinanderdriftenden Erzählstränge wieder zusammengeführt werden, wird emotional dicht spürbar, wie entgegengesetzt die aktuelle, von Entfremdung, Depression und Illusionslosigkeit bestimmte Befindlichkeit der Erwachsenen zur Aufbruchsstimmung der Jugendlichen vom Beginn ist.

Dass dieses Generationenporträt letztlich an der breiten Anlage mit einem zeitlichen Rahmen von annähernd 20 Jahren und einem häufigen Ortswechsel (fast) zerbricht, spürt man auch an den recht zahlreichen erklärenden Zwischentitel, die Ye einfügen muss und mit denen er sogar noch im Nachspann die Geschichte zu Ende erzählen will. - So ist "Summer Palace" alles andere als ein makelloser, aber immerhin kein mittelmäßiger und belangloser, sondern ein in seinem großen Entwurf kühner Film, in dem in vielen Szenen auch das unbestreitbare Talent Lou Yes spürbar ist.

Läuft am Donnerstag, 3.1. umd am Dienstag, 8.1. jeweils um 20 Uhr im Takino in Schaan (O.m.U.)

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)

Takino
Zollstrasse 11
FL - 9494 Schaan

W: http://filmclub.li/

weitere Beiträge zu dieser Adresse



2551-2551summerpalace01.jpg
Summer Palace
Takino
Zollstrasse 11
FL - 9494 Schaan

W: http://filmclub.li/

weitere Beiträge zu dieser Adresse