Als ich in der vorigen Kolumne, also vor vierzehn Tagen, am Beispiel des Münchner U-Bahn-Vorfalls das Thema Jugendgewalt aufgriff, war noch nicht abzusehen, wie sehr und wohin die Debatte darüber eskalieren würde. Man hätte denken können, sie werde den üblichen Weg gehen, also zuerst Titelseite der Boulevardblätter und gedankenschwere Abwiegelungen in der "seriösen" Presse und nach einer Woche das große Vergessen, weil es ja schon wieder neue, ebenso folgenlose Sensationen gibt (Mord in Koblach, Mord auf dem Albertinaplatz etc.).
Dann haben sich aber deutsche Politiker darauf gesetzt und jetzt ist es so weit, dass der SPD-Fraktionschef Struck die Union auffordert, ihn am Arsch zu lecken (freilich nur als harmloses "kann mich mal ..." formuliert, aber doch gut verständlich). Der hessische Ministerpräsident Koch hatte sich ja gleich mächtig ins Zeug geworfen und Gesetzesverschärfungen gefordert.
Koch ist von der CDU und in Deutschland, wo die Landeschefs ein anderes politisches Gewicht haben als unsere Landeshauptleute, muss in einem solchen Fall immer jemand von der SPD heftig widersprechen (und umgekehrt natürlich auch). Struck fragte also rhetorisch, "ob Herr Koch das Thema auch so hochgezogen hätte, wenn es zwei deutsche Jugendliche gewesen wären, die diesen Rentner da malträtiert haben". Die Frage ist deshalb rhetorisch, weil es ja eine Unzahl von ähnlichen Fällen gibt, zu denen sich kein ranghoher Politiker adäquat geäußert hat.
Dann verlangte die CDU eine Entschuldigung und Struck knurrte die Kurzfassung des Götz-Zitats in die Mikrophone, und das Hin-und-Her-Gequatsche wird wohl noch lange weitergehen. Es dreht sich ja mittlerweile darum, wie weit man im Wahlkampf verbal gehen kann und darf, und nicht mehr um das ursprüngliche Problem, zu dem den Politikern nur die üblichen Klischees aus den Sonntagsreden ihrer jeweiligen Partei-Ideologie einfallen.
Einig sind sich alle darin, von "Erziehungscamps" zu sprechen, "Lager" klingt in Deutschland doch irgendwie ungut.