Stars in a Plastic Bag

Zum dritten Mal veranstaltet die Kunsthalle Wien die Ausstellungsreihe "Lebt und arbeitet in Wien" und liefert damit eine aktuelle Standortbestimmung der vielseitigen und eigenwilligen Wiener Kunstszene. Wieder konnte ein arriviertes internationales Expertinnenteam gewonnen werden, das den künstlerischen Plafond Wiens neu vermisst. Xenia Kalpaktsoglou, Co-Direktorin der Athen Biennale, Raphaela Platow, Direktorin des Contemporary Arts Center, Cincinnati und Olga Sviblova, Direktorin des Multimedia Art Museums, Moskau trafen die von der Kunstwelt mit Spannung erwartete Auswahl.

Mit dem Untertitel der Schau, "Stars in a Plastic Bag" verweisen die Kuratorinnen – auch ein wenig augenzwinkernd – auf die reiche und faszinierende künstlerische Beute, die sie auf ihren Streifzügen durch die Ateliers und Galerien Wiens machten. "Lebt und arbeitet in Wien III" versammelt hervorragende Künstler mit Werken, Ideen und Veranstaltungen, die sich im offenen Raum der Kunsthalle zu einem kulturellen Amalgam verbinden. Mit der im Fünfjahresrhythmus stattfindenden Schau bietet die Kunsthalle der vitalen und aktiven Wiener Kunstszene eine zusätzliche Plattform in der Stadt, und fungiert als Trägerrakete für junge Kunst, die sie in eine internationale Umlaufbahn katapultiert. Die internationale Relevanz österreichischer Kunst wurde in der Ausstellungsreihe "Lebt und arbeitet in Wien" durch die Karrieren von Elke Krystufek, Gelitin oder Markus Schinwald schon früh bestätigt.

Kunst und Leben in Wien sind untrennbar mit schillernden Darstellungen, kommunikativen Plattformen, kognitiven Eruptionen, Wahrnehmungsbrüchen und Bewusstseinserweiterung verbunden. Leben und arbeiten sind die wesentlichen Parameter, die existenzielle Räume definieren und einzelne Künstlerbiografien formatieren. Die Künstler, die in Wien einen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt gefunden haben, zeigen sich einerseits als Global Players, die zwischen Großstädten wie New York und Berlin pendeln, als Multitasking-Spezialisten, die in den unterschiedlichsten Medien zu Hause sind, und andererseits als Local Scouts, die aus den kulturellen Ressourcen der Stadt ihre Ideen und Inspirationen gewinnen. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden 13 Künstlerpositionen, deren Herz wie das von Tillman Kaiser, Lukas Pusch und Lisa Ruyter für die Malerei schlägt, und die das klassische Medium facettenreich aktualisieren. Außerdem betont die Schau gestische sowie expressive künstlerische Ausdrucksformen, deren post-aktionistische Haltung sich besonders in den Videos von Mara Mattuschka, Rudolf Polanszky und Hubert Sielecki widerspiegelt.

Die teilnehmenden Künstler, die vorwiegend in den 1970er Jahren geboren sind, nutzen die Ausstellungshalle wie Luisa Kasalicky und Katrin Plavcak als erweitertes Atelier, indem sie ihre Werke vor Ort realisieren. Die Kunsthalle wird zum Hot Spot der Produktion, wo anstelle von aufwendiger Ausstellungsarchitektur der Ort durch großformatige Werke akzentuiert wird: Thomas Draschan nutzt für die Wandcollage Operation ... mit dem neuen Video "Continental Divide" die volle Raumhöhe aus, Stephen Mathewson lotet mit seinem Wandcomic die Möglichkeiten musealer Präsentation aus und erzählt auf rund 20 m die Geschichte vom gefakten Tod von Cat Fischerman und Martin Veselys Sterne, wie er seine Mobile ähnlichen Objekte nennt, bilden das i-Tüpfelchen der Ausstellung. Die Reiseerfahrungen, die Mahony in Odyssee 500 seit zwei Jahren machen, greifen Alltagssujets und Populärkultur wie den Film Fitzcarraldo von Werner Herzog auf und changieren zwischen High und Low Art. Sensible, konzeptuelle und manchmal auch sperrige Zugänge zur Kunst bieten Maria Bussmanns poetisch-philosophische Zeichnungen über die Affektenlehre von Spinoza, Kathi Hofers installative Reflexionen und Lone Haugaard Madsens reduzierte Rauminterventionen aus recycelten Materialien.

Auffällig ist, dass sich auch die zeitgenössische Wiener Kunst in vielen Bereichen nicht mehr ausschließlich an das Werk binden will und in Performances, Lesungen und gattungsübergreifenden Kooperationen ihren künstlerischen Spielraum erweitert. Der raumgebundene Träger Ausstellung öffnet sich wie die Strahlen von Sternen in den Lebensraum der Stadt und bildet ein Netzwerk mit den Arbeits- und Gedankenwelten der teilnehmenden Künstler. So auch dem Salon für Kunstbuch von Bernhard Cella, der als Projekt zwischen Selbstzweck und wirtschaftlichem Unternehmen oszilliert, spezifische Formen des Handels analysiert und alternative Zugänge kommerzieller Verwertbarkeit generiert. Oder der Entertainer Oliver Hangl, der in seinem Guerillawalk mit Funkkopfhörern durch die Ausstellung und den angrenzenden öffentlichen und privaten Raum führt. Er prägt mit seinem Projektraum k48 genauso wie Thomas Draschan, der in seiner Wohnung im 5. Bezirk regelmäßig Ausstellungen veranstaltet, und Martin Vesely mit dem Off-Space Ve.sch die Kunstszene Wiens; mit Veranstaltungen, Diskussionen, Ausstellungen und Treffpunkten gestalten Künstler aktiv das Leben und Arbeiten in Wien.

Künstler und Künstlerinnen: Maria Bussmann, Bernhard Cella, Cut and Scrape, Svenja Deininger, Daniel Domig, Thomas Draschan, Christian Egger, Oliver Hangl, Lone Haugaard Madsen, Kathi Hofer, David Jourdan, Tillman Kaiser, Luisa Kasalicky, Manuel Knapp, Markus Krottendorfer, Constantin Luser, Mahony, Stephen Mathewson, Mara Mattuschka, Drago Persic, Katrin Plavcak, Rudolf Polanszky, Lukas Pusch, Alexander Ruthner, Lisa Ruyter, Isa Schmidlehner, Hubert Sielecki, TOMAK, Nadim Vardag, Jannis Varelas, Martin Vesely, Marianne Vlaschits

Katalog: "Lebt und arbeitet in Wien. Stars in a Plastic Bag." Mit Beiträgen von Max Henry, Xenia Kalpaktsoglou, Raphaela Platow, Angela Stief, Olga Sviblova, Martin Walkner, u.a. In Kooperation mit dem Magazin Touristen und Bildstrecken von Paul Albert Leitner und Franz Zadrazil, Verlag für moderne Kunst Nürnberg, dt. oder engl., ca. 256 Seiten.

Lebt und arbeitet in Wien III
Stars in a Plastic Bag
5. März bis 30. Mai 2010