Staraufmarsch stiehlt Filmkunst die Show

18. Februar 2008
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Durchwachsen fällt die Bilanz der 58. Berlinale aus. Stars kamen zwar zahlreich nach Berlin, große Filme waren nach dem fulminanten Beginn mit Paul Thomas Andersons "There Will Be Blood" allerdings Mangelware. Vor allem das Gastgeberland war schwach vertreten. Erfreuen konnte man sich aber immerhin an einigen kleinen Perlen wie "Lake Tahoe", "Ballast" oder an "Boy A", der im Panorama gezeigt wurde.

Unübersehbar tut sich die Berlinale schwer sich gegen das übermächtige Festival von Cannes zu behaupten. Wird für die im Mai stattfindende Veranstaltung an der Cote d´Azur schon jetzt mit einem mit Regiestars gespickten Programm spekuliert, scheint die Berlinale nur an sehr wenige Filme von Top-Regisseuren heranzukommen. Dieter Kosslick scheint deshalb heuer auf eine andere Karte gesetzt zu haben und sorgte für Medienrummel durch die Anwesenheit von Stars wie den Rolling Stones, Patti Smith oder Madonna. – Dass die Rockstars die Regisseure und Filmstars in den Schatten stellten, ist bezeichnend für ein Festival, bei dem es zumindest heuer mehr um Event als um Filmkunst ging.

Das liegt aber freilich auch an den Filmen, denn große US-Hits, wie sie in Cannes alljährlich neben der Filmkunst auch präsentiert werden, bot die Berlinale – abgesehen von "There Will Be Blood" - nicht. So blieben die kleinen Filme, die aufgrund ihrer geringen Chancen beim Publikum kaum je in die Kinos kommen werden.

Der dramaturgische Aufbau des Festivalprogramms mit Scorseses Stones-Film als Eröffnung und Andersons "There Will Be Blood" am ersten Wettbewerbstag sorgte zwar für gute Stimmung am Beginn und viel Medienberichte, doch dann kam leider recht wenig nach. Sich dieser Tatsache wohl durchaus bewusst versuchten Kosslick und Co. zur Halbzeit des Festivals die Berlinale-Besucher mit Mike Leighs "Happy-Go-Lucky" wieder aufzuheitern und boten mit Scarlett Johansson, Natalie Portman und Eric Bana im Kostümfilm "The Other Boleyn Girl" ("Die Schwester der Königin") gegen Ende nochmals etwas fürs Auge.

Dass der italienische Wettbewerbsbeitrag "Caos calmo" nicht überzeugen würde, war fast zu erwarten, denn ein guter italienischer Film ist in den letzten 20 Jahren die Ausnahme der Regel. Aus Deutschland allerdings hatte man bei den letzten Berlinalen immer starke Filme wie "Sehnsucht", "Requiem" oder "Yella" gesehen. Dass heuer nichts Besseres als Doris Dörries "Kirschblüten" – ein guter Dörrie-Film ist immer noch weit von einem wirklich guten Film entfernt – zu bekommen war, überraschte doch. Und da sich beispielsweise die 145 Minuten des koreanischen Wettbewerbsbeitrags ("Night and Day") wie mindestens 240 Minuten anfühlten und vom japanischen Altmeister Yoji Yamada mit "Kabei - Unsere Mutter" zwar ein - abgesehen von kulissenhaften und atmosphärelosen Aussenszenen - sehr geschlossener, ruhiger, im Stile Ozus inszenierter Familienfilm, aber auch kein herausragendes Meisterwerk vorgelegt wurde, fehlten einfach die drei bis vier Spitzen, die ein Festival bieten sollte.

So bleiben vor allem die kleinen Entdeckungen "Lake Tahoe" und "Ballast" sowie der erste Film des Schriftstellers Christophe Claudel in Erinnerung. Einfühlsam und konsequent erzählt Claudel in "Il y a longtemps, que je t´aime" von einer Frau, die nach Verbüßung einer 15jähriger Haftstrafe von der Familie ihrer Schwester aufgenommen wird. Der schwierige Weg zurück ins Leben ist genau beobachtet und wird von einer großartigen Kristin Scott Thomas in der Hauptrolle getragen - gegen die letzten 15 Minuten, in denen Claudel mit einer harmoniesüchtigen Lösung auf die Tränendrüsen drückt, steht sie allerdings auf verlorenem Posten.

Ist "Il y a longtemps que je t´aime" ein sanfter Frauenfilm, so bietet John Crawley in "Boy A", der im Grunde eine Fernsehproduktion ist, das harte britische Pendant dazu: Nach langjähriger Haftstrafe wird ein junger Mann aus dem Gefängnis entlassen und mit einer neuen Identität ausgestattet in einer ihm fremden Umgebung angesiedelt. Mit Hilfe eines Bewährungshelfers soll er sich in die Gesellschaft wieder eingliedern. Er findet einen Job, bald auch eine Freundin und rettet sogar ein kleines Mädchen. Gleichzeitig bietet Crawley in Rückblenden sukzessive mehr Einblick in das einstige Vergehen des jungen Mannes, das der Gesellschaft verheimlicht werden muss, da sie es nicht tolerieren würde. – Zwar konventionell gemacht, aber perfekt aufgebaut, schnörkellos inszeniert und herausragend gespielt bietet "Boy A" nicht nur packende Unterhaltung, sondern reflektiert auch darüber, ob ein Verbrecher resozialisiert werden kann und ob die Gesellschaft die Resozialisierungsversuche eines Schwerverbrechers überhaupt akzeptiert.