Staging Leigh Bowery

"I think of myself as a canvas" sagte der 1961 in Australien geborene Modepionier Leigh Bowery über sich selbst. Gäbe es eine Formel, um das Enfant terrible, das sich zeitlebens gegen jede Kategorisierung wehrte, zu verstehen, dann wäre es wohl ebendiese – sich selbst zum Kunstwerk zu machen. Mit seiner schrillen, alle Konventionen sprengenden Selbstdarstellung und der Stilisierung zum wandelnden Kunstwerk, mischte Leigh Bowery im Anschluss an die Postpunk und New Romantics Bewegung die Londoner Subkultur der 1980er-Jahre auf. Befreundet mit Szenefiguren wie Michael Clark und Cerith Wyn Evans erfand er sich auf den mannigfachen Bühnen der Metropole immer wieder aufs Neue.

Die Schau zeigt Leigh Bowerys Leben und Werk zwischen Mode, Performance, Musik, Tanz und Skulptur in selten ausgestellten Kostümen, zahlreichen Filmen, Fotografien, Musikvideos, Talkshows und Magazinen. Eine Annäherung an Leigh Bowery erzielt die Präsentation durch künstlerische Beschreibungen, Reflexionen und Dokumentationen im Werk von Freunden, Unterstützern und Künstlerkollegen, als deren Inspirationsquelle, Entertainer und Muse Bowery stets fungierte: Seine performativen Inszenierungen zwischen Maskerade und radikalem Selbstausdruck wurden von Filmemachern wie Charles Atlas, Dick Jewell, Baillie Walsh und John Maybury festgehalten. In etlichen Sessions, die sich über einen Zeitraum von sechs Jahren zogen, entstand die legendäre Fotoserie Looks von Fergus Greer.

In vielfachen Selbstbespiegelungen und unter dem kritischen Auge von Wegbegleitern entwickelte Leigh Bowery, wie Charles Atlas in Teach zeigt, seine unverwechselbaren Aufmachungen, Gesten und Posen. Bowerys einwöchige Performance in der Anthony d’Offay Gallery in London (1988) fand vor einem halbtransparenten Spiegel statt. Über Stunden hinweg konnte ihn das Publikum in wechselnden Outfits betrachten; er hingegen sah nur sein eigenes Spiegelbild – er war unausweichlich mit sich und seinen Bewegungen konfrontiert.

Obwohl Leigh Bowery behauptete, gegen seine anfängliche Scham gekämpft zu haben und seinen raumgreifenden Körper hinter auffälligen Materialien wie Tüll, Glitter, Farbe und Satin zu verstecken, waren seine Auftritte über alle Peinlichkeiten erhaben: "Wir anderen nutzten Drag und Schminke, um unsere Makel und physischen Defekte zu kaschieren. Leigh machte sie zum Brennpunkt seiner Kunst", meinte Boy George. Gekürt wurden seine Inszenierungen schließlich auf den Laufstegen der Londoner Nachtclubs, wo er das Rennen um maximale Aufmerksamkeitswerte für sich entschied. Auch der britische Malerfürst Lucian Freud fand großen Gefallen an Leigh Bowerys faszinierender Persönlichkeit und seinem üppigen, nackten Körper. Freud machte Bowery zu einem seiner wichtigsten Modelle und zeigte ihn wie er in seinen öffentlichen Auftritten nie zu sehen war – natürlich, intim und verletzlich.

Leigh Bowerys Kunst unterscheidet sich deutlich von den Designs, den Präsentationsmodellen und Distributionskanälen der Modemacher. Mit der Ironie von Trash und Bad Taste brach er ähnlich wie sein Idol John Waters und dessen Hauptdarstellerin Divine auf zynisch-humorvolle Weise mit Konventionen und jeglicher Stildoktrin. Seine handwerkliche Geschicklichkeit und sein kreatives Potenzial stellten den Kern einer expressiven Selbststilisierung dar, die ihr Publikum nicht durch Vermarktungsstrategien und Konsumangebote zu animieren brauchte. Den vestimentären Kreationen lag die Arbeit mit dem eigenen Körper zugrunde, den Leigh Bowery als formbares Material und plastischen Werkstoff verstand und der im Spätwerk eine immer bedeutendere Rolle spielte. Der Körper als untilgbares Desiderat brachte die mannigfaltigen Erscheinungen und kaleidoskopischen Auffächerungen hervor, die am Werk Bowerys wahrscheinlich am meisten verblüffen.

Er experimentierte mit zweiten Häuten aus schwarzem Latex, übersteigerte die Größe und das Volumen seines Körpers mit ausladenden Kleidern aus Tüll und überhöhte ihn mit Plateauschuhen. Bowery konterkarierte glamouröse, ornamentale und transparente Materialien mit Stahlhelmen, Klobrillen und Totenschädeln. Künstliche Lippen befestigte er mit Sicherheitsnadeln in den Wangen und hautfarbene Samtanzüge verwandelten seinen Körper in eine Vagina. Aus seinem Fleisch formte er mit Klebeband und Miedern künstliche Brüste, versteckte sein Glied unter Schamhaartoupets oder überaffirmierte es in einer Tanzaufführung der Michael Clark Company. Bowery verunglimpfte eindeutige Geschlechtsdefinitionen und überschritt gesellschaftlich konstruierte Genderzuschreibungen – "Gender Trouble" – denn alles war ein Look. Nach und nach wurde Bowery zu dem, was man das "Selbst als Performanz" bezeichnet.

Leigh Bowerys Dasein war der Inbegriff von Extremen, er suchte nach emotionalen und physischen Ausnahmezuständen wie Schmerz und Ekstase, die ihn wie in der Performance "The Laugh of No. 12 in Fort Asperen" der Mediokrität des Alltäglichen enthoben. An einem Fuß aufgehängt baumelte er am 4. Juni 1994 splitternackt mit schwarzer Gesichtsmaskierung und ein paar Wäscheklammern an den Genitalien sprechsingend in der Luft und zertrümmerte schließlich mit seinem massigen Körper eine Glasscheibe. In seinen Darbietungen setzte sich Bowery der eigenen Verletzlichkeit aus und überwand körperliche Versehrtheit mittels ihrer Prononcierung. Seine mitunter sado-masochistischen Auftritte und seine provokante Lebensführung kulminierten in einer Haltung, die sich im Ausspruch "I like doing the opposite of what people expect" zum gesellschaftspolitischen Ansatz verdichtete. Abseits des nächtlichen Rampenlichts und der Obhut der Gleichgesinnten strapazierte er mit seiner großen und exaltierten Erscheinung – Leigh Bowery war in jeder Hinsicht "larger than life" – die sozialen Grenzen des Schicklichen. Es bereitete ihm Vergnügen, Anstoß zu erregen und der Diktatur der Angepassten den Spiegel der Fremdbestimmung vorzuhalten.

Nach einem überbordenden Leben starb Leigh Bowery 33-jährig an den Folgen von AIDS. Er war mehr als eine außergewöhnliche Randerscheinung, die sich auf den urbanen Plattformen von Exhibitionismus und Voyeurismus profilierte. Seine virtuosen Arbeiten beeinflussten Haute Couture-Kreationen von Modegrößen wie Rei Kawakubo, John Galliano, Walter van Beirendonck und Alexander McQueen. Die aktuelle Herbst/Winter Kollektion von Comme des Garçons trägt trotz der Schlichtheit offensichtliche Bezüge zu den Entwürfen von Leigh Bowery.

Staging Leigh Bowery
19. Oktober 2012 bis 3. Februar 2013