Spot on: Wolfgang Tillmans

Seit zwanzig Jahren entwickelt Wolfgang Tillmans, der im Jahr 2000 als erster Deutscher den renommierten Turner-Prize gewann, ein durch seine Vielseitigkeit und Sensibilität beeindruckendes fotografisches Werk. Im Mittelpunkt seines Werks stehen der Mensch und seine Umwelt. In den 1990er-Jahren war Tillmans, der 1967 in Remscheid geboren wurde, ein Chronist der Jugendkultur seiner Zeit und schuf persönliche und zugleich allgemeingültige Bilder. Später wendete sich Tillmans der bildlichen Abstraktion zu, die er teilweise kameralos im Fotolabor mit Chemie und Licht produzierte.

Der von Tillmans im Jahr 2008 im Museum Kunstpalast mit zwölf aus den Jahren 2001 bis 2007 stammenden Fotografien realisierte "Düsseldorf Raum" zeigt die Faszination des Künstlers für das Abstrakte, ohne dass auf Gegenständliches oder die Abbildung von Konkretem verzichtet wird. Es sind Bilder, die im Motiv wie im Format sehr unterschiedlich sind, aber allesamt von Wolfgang Tillmans in seinem direkten Lebens- und Arbeitsumfeld aufgenommen worden sind. Mit seiner austarierten Hängung verzichtet Tillmans völlig auf die Zuweisung von Autorität oder Zentralität einzelner Fotoarbeiten. Bei näherer Betrachtung der schein beiläufig aufgenommenen Motive lösen Schärfen und Unschärfen sowie innere und äußere Räume ein allein auf den Gegenstand fokussiertes Sehen und ermöglichen Erfahrungen jenseits der konkreten Motive.

Dem Betrachter erschließt sich im "Düsseldorf Raum 2001-2007" nach und nach die Sinnhaftigkeit der vom Künstler vorgenommenen Raumkomposition sowie die Beziehungen der einzelnen Werke untereinander. Die Arbeiten bieten ebenso Reflexionen über den Augenblick (ihrer Entstehung) wie über die Werkzeuge Licht und Chemie, sie verbinden in ihrem beziehungsreichen Netz Gegenständlichkeit und Abstraktion, Fläche und Raum, Transparenz und Farbe, Intimität und Uneigentliches. Die lebensgroße Aufnahme "Renovierung", (2003) zeigt ein zunächst lapidar wirkendes Motiv: eine Raumecke und ein teilweise mit Zeitungspaper abgeklebtes Fenster. Tillmans gelingt mit diesen einfachen Requisiten die Verschränkung mehrerer Ebenen. Die Zeitungen bringen die politische Realität in das Zimmer, der verschwommene Blick durch die Scheibe lässt das grüne Blattwerk eines Baumes erkennen, der den kargen Innenraum mit der wuchernden Natur verbindet.

Die "New Family" betitelte Fotografie zeigt die Frontscheibe eines Autos bei eingesetztem Scheibenwischer und Wasserstrahl während der Fahrt auf asphaltierter Straße durch eine mit Feld und Wald strukturierte Landschaft. Die Verschwommenheit bzw. Auflösung dieser Feld- und Waldlandschaft erscheint ebenso romantisch wie dramatisch. Die Arbeit selbst erscheint als Reflexion des Fotografen über die Möglichkeit von Bildkomposition, von Fixierung eines Gegenstandes, aber auch über die Zeit bzw. den Augenblick der Aufnahme. Ein Fenstermotiv als Abgrenzung zwischen Innen und Außen findet sich auch in der Arbeit "Layers" wieder: vor den milchig trüben, leicht geöffneten, horizontal geteilten Scheiben stehen auf der dunkel gekachelten Fensterbank mit Wasser gefüllte durchsichtige Gläser, Flaschen, Vasen mit Ablegern verschiedener Pflanzen aufgereiht. Die Zartheit der pflanzlichen Fragmente wird durch die Größe des Bildes und den bewussten Kontrast von Schärfe im Vorder- und Unschärfe im Hintergrund betont.

Völlig neue, nie gesehene Bilder hat Tillmans mit seiner "paper drop"-Serie geschaffen. Die skulpturale Abbildung des gewölbten Papiers macht deutlich wie sehr Tillmans die Fotografie als Objekt versteht: "Das Bild ist nicht körperlos". Es handelt sich um ein Bild im Bild, das seine Bildoberfläche verbirgt und als spannungsvoll gebogenes Objekt vor allem auf seine Materialität hinweist. Das als zweidimensional wahrgenommene Fotopapier beschreibt hier eine Räumlichkeit, die ein Außen von einem Innen trennt, fokussiert Lichtzonen, die durch unterschiedliche Farbintensitäten im abbildenden Foto beschrieben werden.

Das fotografische Werk von Wolfgang Tillmans fordert eine Offenheit, die unser bisheriges Sehen und Denken erweitert.

Wolfgang Tillmans
2. Februar bis 7. April 2013