Sozial engagierter Provokateur: Pier Paolo Pasolini

Kommunist und Katholik, Homosexueller und engagierter Chronist des italienischen Subproletariats. – So widersprüchlich wie Pier Paolo Pasolini als Mensch war, so kontrovers waren auch seine Filme. Das Stadtkino Basel und das Zürcher Kino Xenix widmen dem italienischen Filmregisseur anlässlich seines 40. Todestags am 2. November 1975 Retrospektiven.

Angefeindet wurde der 1922 in Bologna geborene und 1975 in Ostia ermordete Pier Paolo Pasolini von vielen Seiten, besonders seine Verfilmung des Matthäusevangeliums (1964) und sein erst posthum uraufgeführter und vieler Orts lange verbotener «Salo - Die 120 Tage von Sodom» (1975) führten zu heftigsten Kontroversen.

Ein Skandal bestand schon darin, dass der erklärte Marxist und ketzerische Katholik Pasolini es 1964 wagte, die Geschichte Christi zu verfilmen. Schon vor der Premiere bei der Biennale in Venedig kam es zu Protesten durch die italienischen Faschisten, die «eine Beschmutzung einer Quelle des christlichen Abendlandes» befürchteten. Doch so zwiespältig Pasolinis Film auch sein mag, er gilt doch immer noch zumindest als «der beste aller misslungenen Jesusfilme.

Aufgewachsen in Friaul veröffentlichte er 1942 einen ersten Gedichtband. Dabei äußerte sich einerseits im Verwenden des lokalen Dialekts die Opposition zum Faschismus, anderseits artikulierte Pasolini darin auch erstmals öffentlich seine Homosexualität. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Lehrer, trat 1947 in die Kommunistische Partei ein, aus der er zwei Jahre später nach einer Anklage wegen Verführung Minderjähriger ausgeschlossen wurde. Nach der Übersiedlung nach Rom schrieb er in den 50er Jahren zwei Romane und einen Gedichtband, in deren Mittelpunkt das Leben des römischen Subproletariats steht.

In diesem Milieu spielen auch Pasolinis erste Spielfilme »Accatone – Wer nie sein Brot aus Tränen aß« (1961) und "Mamma Roma" (1962). Handelt es sich bei ersterem um das Porträt eines kleinen Zuhälters und Tagediebs, dessen Leben und Sterben Pasolini durch Musik von Bach, Bildkomposition und Lichtdramaturgie ästhetisch überhöhte, erzählt »Mamma Roma« (1962) mit der großen Anna Magnani in der Titelrolle von der Liebe einer Prostituierten zu ihrem Sohn.

Von diesem Milieu entfernte sich Pasolini zwar in seinen folgenden Filmen, in denen er sich mit der Passionsgeschichte Christi und antiken Mythen beschäftigte, verlieh aber auch diesen Adaptionen durch die Aktualisierung des Stoffes Brisanz.

In "Il vangelo secondo – Matteo" (1964) betonte er das sozialrevolutionäre Moment der christlichen Botschaft schon dadurch, dass er diese Bibelverfilmung nicht in Palästina sondern in Süditalien - in der Dritten Welt innerhalb der Ersten Welt - drehte.

Mit der Handkamera und dokumentarischem Gestus fängt Pasolini die karge Landschaft und die Armut in langen dialoglosen Passagen am Beginn seines Filmes ein. Durch die Verlegung der Handlung von Palästina ins Mezzogiorno wird die biblische Geschichte aktualisiert und die Rückständigkeit Süditaliens aufgezeigt.

Nichts hat Pasolinis Film mit kitschigen Bibelverfilmungen gemein, nicht mit Stars sondern mit Laiendarstellern hat er alle Rollen besetzt, die in expressiven Großaufnahmen ihren Text direkt in die Kamera sprechen. Nach der Schilderung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse am Beginn, vertraut er ganz auf die Wirkung des Evangeliums, dem jedes gesprochene Wort entnommen ist. Der Musikkommentar stärkt aber wieder das sozialrevolutionäre Element: neben Sakralmusik von Mozart und Bach verwendete Pasolini auch ein russisches Partisanenlied, das der Kreuzigung unterlegt ist.

Auch in "Medea" (1970) steht eine fast 20minütige dialoglose Passage am Beginn. Mit geradezu ethnographischer Genauigkeit wird das Leben in Kolchis beschrieben. In der Osttürkei fand Pasolini die erdfarbenen runden Hügel mit Wohnhöhlen in Felsen und schildert, unterlegt mit afrikanischen und tibetanischen Kultmusiken, faszinierend diese Hirtenwelt, deren Bewohner Gewänder entlegener afrikanischer oder südamerikanischer Völker tragen.

Diametral entgegengesetzt ist dieser Kultur mit archaischen Ritualen und Festen und dem Glauben an das Magische die rationale und aufgeklärte Welt Jasons, deren Bewohner in kantigen Palästen mit eckigen Türen - Renaissancebauten in Pisa dienten Pasolini als Kulisse für Korinth - wohnen und wie Personen auf Gemälden Piero della Francescas gekleidet sind.

Der Kontrast zwischen der archaischen, aber tiefreligiösen und ebenso heiligen wie heilen Hirtenwelt von Kolchis und der oberflächlichen Jugend von Korinth, die jeden Kontakt zum Göttlichen verloren hat, weist wiederum auf den Gegensatz zwischen Erster und Dritter Welt hin.

Medea erscheint hier nicht als grausame Kindermörderin, sondern als Fremde und Ausgestoßene im rassistischen Korinth, ihre Bluttat »kann man wie eine Revolte der Dritten Welt (als deren Vertreterin Medea erscheint) gegen den Zwang zur Anpassung an die Zivilisation Europas verstehen« (Ulrich Gregor, Geschichte des Films). - Indem Pasolini die Absage an Kolonialismus und Imperialismus zum zentralen Thema seiner »Medea« macht, wird auch diese Klassikerverfilmung zu einem ebenso persönlichen wie aktuellen und revolutionärem Werk.

Auch in "Edipo Re" (1967) findet sich eine faszinierende, wiederum fast dialoglose Schilderung einer fremden, ockerfarbenen Welt mit bizarren Gewändern und irritierender Musik - Pasolini drehte diesen wohl eindrucksvollsten Teil des Films in Marokko. In flirrendem Sonnenlicht spielen die meisten Szenen, doch obwohl es taghell ist, kann der sehende Ödipus die Wahrheit nicht erkennen und erfüllt schuldlos schuldig das Schicksal.

Der Tragödie von Sophokles fügte Pasolini aber einen in der Gegenwart spielenden Prolog und Epilog hinzu, die einerseits durch die Situierung in Bologna dem Film einen autobiographischen Charakter verleihen andererseits auch auf die immer noch aktuellen Motive des Mythos verweisen. Abweichend von Freud zeigt Pasolini im Prolog den Ödipus-Komplex als Eifersucht des Vaters auf den neugeborenen Sohn und signalisiert im Epilog die Überwindung des Mythos durch den blinden, aber seine Lebensgeschichte durchschauenden Ödipus, der von seinem Führer an einer Kirche vorbei zu einer Fabrik geführt wird.

Ganz in der Gegenwart angesiedelt ist dagegen »Teorema« (1968), Pasolinis vielleicht geschlossenster, aber auch enigmatischster Film, der stark von den pessimistischen Beziehungsanalysen eines Michelangelo Antonioni beeinflusst scheint. Auf Dialoge wird fast gänzlich verzichtet, das erhöht die Vieldeutigkeit dieses Werks, das von der italienischen Regierung verboten wurde, vom Katholischen Filmbüro andererseits bei den Filmfestspielen von Venedig mit einem Spezialpreis ausgezeichnet wurde.

Ein Fremder kündigt sich als Gast im vornehmen Landhaus einer Industriellenfamilie an. Alle Bewohner des Hauses (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Magd) verfallen diesem rätselhaften Besucher bald, gestehen ihm genau in der Mitte des Films, dass er sie zur Selbsterkenntnis geführt habe, und ändern, nachdem der Gast das Haus verlassen hat, ihr Leben.

Ein Ausbruch aus dieser bürgerlichen Welt scheint aber nur für die Magd möglich, die in ein verlassenes Bauernhaus zieht, dort die Menschlichkeit und Zuneigung der Landbevölkerung erfährt und schließlich sogar als Heilige verehrt wird. Die anderen scheinen aber so in ihrem Lebensstil verhaftet, dass jede Veränderung nur äußerlich ist. Auch der Verzicht auf allen materiellen Besitz führt nicht aus dieser emotionalen Wüste - Wüstenbilder unterbrechen immer wieder die Handlung - und inneren Leere: Ein Schrei der Verzweiflung in der trostlosen Sandwüste steht am Ende.

Gleichwohl stellte Pasolini Anfang der 70er Jahre mit seiner »Trilogie des Lebens« dem »Völkermord«, den seiner Ansicht nach, die kapitalistische Gesellschaft an den Subkulturen beging, seine Vision einer Ars erotica entgegen: In seinen Adaption von Vorlagen Boccaccios, Chaucers und den »Märchen aus 1001 Nacht« (»Il Decameron«,1971; »I racconti di Canterbury«, 1972; »Il fiore delle mille e una notte«, 1974) feiert Pasolini die Schönheit der Körper und Lüste einer vorindustriellen Zeit.

In totalem Gegensatz dazu wurde sein letzter Film dann zu einem der grauenerregendsten der Filmgeschichte. Vielleicht muss man »Salo – Die 120 Tage von Sodom« (1975) einmal gesehen haben, ein zweites Mal möchte man ihn sicher nicht sehen. Pasolini transponierte den 1785 entstandenen, aber erst 1904 veröffentlichten Roman des Marquis de Sade in die Zeit kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

In der faschistischen Republik von Salò lässt Pasolini vier Herren ihre Macht gegenüber Untergebenen ausüben. Kaum erträglich macht diesen Film die Distanz und Mitleidlosigkeit, mit denen die sich steigernden Demütigungen und Grausamkeiten gezeigt werden.

Noch vor der Uraufführung des Films wurde Pasolini in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 in Ostia unter nie genau geklärten Umständen ermordet. "Saló o le 120 giornate die Sodoma" wurde erst nach seinem Tod aufgeführt und sofort verboten. Inzwischen wurden diese Verbote weitgehend aufgehoben, weiterhin nicht erlaubt ist aber in Deutschland die Bewerbung oder öffentliche Aufstellung der DVD. Polizeilich untersagt wurde im Februar 2007 nach Strafanzeigen von christlichen Gemeinden aus Deutschland und Österreich auch eine vom Zürcher Kino Xenix geplante Vorführung des Films in der Sankt-Jakobs-Kirche.

Trailer zu "Saló"