Sommer - Cyanotypien von Kurt Dornig

Die Kunst vermittelt uns seit jeher eine Anschauung der Welt, sie zu fühlen und zu verstehen – weit über das hinaus, was Worte allein ausdrücken können. In seinem neuesten Werk widmet sich der Grafiker und Buchgestalter Kurt Dornig der Essenz des Sommers und erschafft mit dem zweiten Teil seiner Jahreszeitenserie eine faszinierende Symbiose aus Experimentierfreude und augenzwinkerndem Humor.

Inspiriert von der Pionierin der Cyanotypie, Anna Atkins (1799–1871), deren botanische Fotogramme im 19. Jahrhundert sowohl wissenschaftliche Präzision als auch ästhetischen Formwillen vereinten, lässt Dornig das Licht selbst zum Gestalter werden. Atkins, eine britische Botanikerin, gilt als eine der ersten Frauen, die das Medium Fotografie für wissenschaftliche Zwecke nutzten. Die Cyanotypie ist ein simples fotochemisches Verfahren, mit dem man durch die Einwirkung von (Sonnen-)Licht auf präpariertes Papier Abbilder von Objekten erzeugen kann. Atkins nutzte dieses 1842 entwickelte Verfahren, um detailgetreue Abbildungen von Pflanzen zu erstellen. Sie legte die Präparate direkt auf das lichtempfindliche Papier und setzte es der Sonne aus. Die belichteten Stellen färbten sich blau, während die von den Pflanzen bedeckten Bereiche weiß blieben. So entstanden einzigartige Fotogramme, die zum einen wissenschaftlich exakt, zum anderen aber auch ästhetisch ansprechend waren. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Anna Atkins zunächst ein Buch über britische Algen (Photographs of British Algae: Cyanotype Impressions), zusammen mit ihrer Freundin Anne Dixon (1799–1865) arbeitete sie an Cyanotypes of British and Foreign Ferns (1853). Atkinsʼ Arbeit war bahnbrechend, trug sie doch dazu bei, die Fotografie als ein wichtiges Werkzeug in den Naturwissenschaften zu etablieren – und das zu einer Zeit, in der Frauen in der wissenschaftlichen Forschung allein die Botanik offenstand.

Der beschwerliche Weg zum selbstbestimmten Arbeiten, wie ihn Anna Atkins zeitlebens anstrebte, bleibt einem männlichen Künstler des 21. Jahrhunderts schwer nachvollziehbar. Vertraut ist ihm hingegen die intensive Auseinandersetzung mit den Motiven, Materialien und der Technik, denn die subjektiven künstlerischen Ansprüche sind universell und zeitlos. Und so hat es fast zehn Jahre gedauert, bis Kurt Dornig das passende Medium für eine Fortsetzung seines Jahreszeitentopos gefunden hat. Damals, im Jahr 2016, sammelte er auf langen Spaziergängen Reisig und Stängel am Wegesrand ‒ winterlich erstarrte Gräser und Zweige, deren blattlosen Skeletten er eine Reihe von Tuschezeichnungen und Linolschnitten widmete. Dieses Mal nimmt sich der Künstler des Sommers an. Als Medium dient ihm hierfür das Licht. In der Hitze des Sommers macht man keine langen Spaziergänge, eher sucht man die klimatisierte Kühle eines Konsumtempels, in dem man nach Material Ausschau hält. In Zeiten des globalisierten Turbokapitalismus findet sich dort alles, was das Herz begehrt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mühsam die Samen und Knollen erst gewinnen, dann überwintern und schließlich neu treiben lassen musste. Heute unterrichtet uns das Supermarktprospekt darüber, welche Blumenzwiebeln gerade gepflanzt werden sollten – und wir greifen der Bequemlichkeit halber zu. In den bunten Plastiknetzen findet das Gärtner:innenherz alles, was es begehrt. Kurt Dornig hintergeht die saisonal-kommerziellen Vorgaben, indem er auf den Inhalt verzichtet und sich stattdessen den Plastikhüllen und billigen Haushaltshelfern chinesischer Herkunft zuwendet.

Ausgehend von Anna Atkinsʼ botanischen Cyanotypien beginnt für Kurt Dornig im Jahr 2023 das Spiel mit der Verwandlung: In der gleißenden Sommersonne legt der Künstler Blumenwiesen aus Drähten und Knöpfen, Schilfgürtel aus Flaschenputzern, blühende Gräser aus Plastikschwämmen und Frühlingszwiebeln aus Stecknadeln und Gummischläuchen. Dabei entstehen serielle Unikate, jedes geprägt von der jeweiligen Intensität des Lichts und der Materialität des Papiers. Je nach Sonneneinstrahlung benötigen die Blätter zwischen fünf und fünfzehn Minuten in der Sonne, dann nimmt das chemisch gebannte Motiv eine gelbgrüne Färbung an, die sich nach dem Wässern des Blatts in ein mehr oder weniger intensives Blau wandelt. Dornigs Werk geht dabei nun über eine statische Wiedergabe hinaus: Es ist eine poetische Reflexion über die Jahreszeiten, über Wachstum und Vergänglichkeit – und über unser Konsumverhalten.

Im Jahr darauf beginnt er von Neuem, dieses Mal abstrakter, einfacher. Kurt Dornig lässt das Licht zeichnen. Dafür benötigt er nur noch unterschiedlich lange Drahtstücke, die er mal zu Kreisen, mal zu Blüten formt oder sie zu abstrakten Liniengeflechten legt. Bei den jüngsten Kompositionen wandelt sich die Ausrichtung: Kurze, unterschiedlich starke horizontale Linien geben den Anschein, man säße am Wasser und würde der leichten Wellenbewegung der Oberfläche zusehen. Der Sommer wird hier nicht nur als Zeit des Lebens und der Leichtigkeit geschildert, sondern auch als Moment des Innehaltens und stillen Beobachtens.

Mit spielerischem Ansatz und einer unkonventionellen Wahl seiner Materialien – Kurzwaren und Haushaltshelfer – formt Dornig abstrakte Blumenwiesen und filigrane Schilfgürtel. Alle Kompositionen entwickeln sich in die Vertikale, wachsen der Sonne entgegen, bis der Herbst sie an ihr nahendes Ende erinnert. Seine große Bewunderung für Anna Atkins spiegelt sich in der Leidenschaft für Papier und Gestaltung wider, doch seine Werke erheben keinerlei dokumentarischen Anspruch. Sie möchten vielmehr ein Gefühl vermitteln. Vor gut zehn Jahren ist sein erster Versuch, die Blütenpracht des Sommers festzuhalten, gescheitert. Als passende Jahreszeit, sich mit dem Wesen der Natur auseinanderzusetzen und ihre Struktur zu begreifen, hatte sich zunächst der Winter entpuppt. In den letzten beiden Jahren hat Kurt Dornig jedoch einen Weg gefunden, die Essenz des Sommers festzuhalten: mit einer Hommage an die Kunst der Cyanotypie und die Fähigkeit des Lichts, Geschichten zu erzählen.
(Kathrin Dünser)

Kathrin Dünser hat Kunstgeschichte in Wien studiert und ist als Kunsthistorikerin am Vorarlberg Museum tätig, seit 2017 als Kuratorin für zeitgenössische Kunst. Seit 2022 ist sie Mitglied der Kunstkommission des Landes und in diversen Gremien aktiv. In ihrer Freizeit schreibt sie für die Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft.

Kurt Dornig wurde 1965 in Dornbirn geboren und machte sich 1985 als Grafikdesigner und Illustrator selbständig.

Kurt Dornig
Sommer
29. Mai 2025 bis 28. Juni 2025
Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 29. Mai 2025, 19:30 Uhr
Es spricht: Kathrin Dünser – Vorarlberg Museum